Keine Frage: Das österreichische Steuersystem ist zu kompliziert, manchmal ungerecht und daher reformbedürftig. Die entsprechenden Vorschläge von Ökonomen und Steuerexperten für ein einfaches und faires Modell liegen seit Jahren auf dem Tisch und laufen meist auf das Gleiche heraus: niedrigere Steuersätze mit weniger Ausnahmen. Ein effizienteres System, so die Hoffnung, könnte Kosten sparen und das Wachstum ankurbeln.

Wenn Politiker das Wort Steuerreform in den Mund nehmen, meinen sie allerdings etwas anderes: Dann wollen sie meist den Wählern etwas geben und vor allem ihre Klientel entlasten - gelegentlich auch ideologische Ziele durchsetzen. So reduziert sich seit Jahrzehnten jede Steuerreform zu einer wahlkampfgerechten Steuerentlastung, um die SPÖ und ÖVP monatelang ringen. Eine echte Verbesserung des Steuersystems hat sich dadurch selten ergeben.

Das Pokern um die nächste Reform hat bereits begonnen. Der SPÖ geht es diesmal mehr um Gerechtigkeit, die sie durch neue Vermögenssteuern erreichen will. Und ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf hat für seine Partei eine langfristige Zielgröße genannt: mindestens zehn Milliarden Euro Steuersenkung, damit es die Bürger auch wirklich spüren. Das ist ein ansehnlicher Betrag, auf den der Staat da verzichten müsste.

Tatsächlich ließen sich aus den Vorschlägen einige sinnvolle Maßnahmen herausdestillieren - zumindest in der Theorie. Eine höhere Grundsteuer ist allein schon aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, greift aber nur, wenn Agrarflächen nicht ganz ausgenommen werden. Eine Senkung der Lohnnebenkosten nützt der Beschäftigung, ist aber schwierig gegenzufinanzieren. Höhere Energiesteuern, ein Favorit der Experten, sind höchst unpopulär. Und die Eingliederung des steuerbegünstigten Jahressechstels in den allgemeinen Tarif bleibt politisch ein Tabu: Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld traut sich niemand anzutasten.

Gar so dringend, wie die Politiker derzeit tun, sind Änderungen in den Steuergesetzen nicht. Österreich ist im europäischen Vergleich zwar ein Hochsteuerland, aber kein extremes. Und bei allen berechtigten Klagen über teure Verwaltung, schlechte Unis und Frühpensionen werden die Steuergelder hier ganz gut eingesetzt. Auch wird keine Bevölkerungsgruppe übermäßig belastet. Gerade weil alle über ihre Steuern klagen, ist das System recht ausgewogen.

Ein überzeugendes Argument für eine regelmäßige Steuerentlastung ist die kalte Progression: Durch die Inflation zahlt jeder Jahr für Jahr etwa höhere Steuern, ohne real mehr zu verdienen. Aber ein leichter Anstieg der Abgabenquote wäre in den kommenden Jahren verkraftbar. Schließlich ist der Staatsschuldenberg als Folge der Finanzkrise auf ein Rekordhoch gestiegen und sollte rasch wieder unter die Marke von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt werden.

Um das zu erreichen, könnte die Politik ruhig längere Zeit auf das Ritual der Steuerreform verzichten. Wünschenswert wäre ein Moratorium für alle Steuervorschläge im anlaufenden Wahlkampf und der ganzen nächsten Legislaturperiode.

Wenn im Jahr 2018 die Staatsfinanzen wieder im Lot sind, kann die Debatte neu starten und vielleicht zu intelligenteren Lösungen führen. Eine baldige Steuerreform würde hingegen bloß in einem neuen Murks münden. (Eric Frey, DER STANDARD, 3.12.2012)