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Auf in die Territorialverteidigung!? - Vizekanzler Spindelegger mit Heeresrucksack bei einer Truppeninspektion in Salzburg.

Foto: APA/ROBERT JAEGER

Hätte die Bundesregierung die neue Sicherheitsdoktrin vom Nationalrat absegnen lassen müssen, bevor sie die Volksbefragung vom Zaun brach? Gewiss, die Kritik ist berechtigt, doch in der seit September 2011 vorliegenden Synopse der Regierung heißt es wörtlich: "Konventionelle Angriffe gegen Österreich sind auf absehbare Zeit unwahrscheinlich geworden." Das ist eine klare Absage an die territoriale Landesverteidigung, und ein Bekenntnis dazu brächte die gesamte ÖVP-Propaganda ins Wanken.

Unrecht haben die Neutralisten, wenn sie einen Missbrauch des Instruments des Volksbegehrens wittern. Man sollte vielmehr der Regierung Faymann zu ihrem Mut gratulieren.

Neutralität verpflichtet ...

Das Experiment der großen Koalition ist ja in der Ersten Republik gerade an der Wehrfrage zerbrochen. 1919 hatte der Diktatfrieden von Saint-Germain-en-Laye ein Berufsheer erzwungen. Dem sozialdemokratischen Staatssekretär Julius Deutsch gelang es trotz sechs- bzw. 12-jähriger Dienstzeit, viele Freiwillige der Volkswehrmilizen in die Armee zu übernehmen. Als Deutsch per Weisung auch noch die Soldatenräte als Personalvertretung integrieren wollte, kündigten die Christlichsozialen die Zusammenarbeit auf. Nach Neuwahlen zogen die Sozialdemokraten heroisch aus der Regierung aus - "Nicht als Besiegte, als Sieger verlassen wir das Kampffeld der Koalition" - und kehrten zum Schaden aller bis 1945 nicht mehr zurück. Riskiert Österreich nun, dass sich dieses dunkle Kapitel seiner Geschichte als Farce wiederholt? Nein, Rot-Schwarz stellt am 20. Jänner eindrucksvoll die Stabilität der Koalition unter Beweis.

Wenn man der Regierung etwas vorwerfen will, dann bitte, dass sie ihre Arbeit strikt an das Ergebnis der Volksbefragung bindet. Weiters, dass der Befragungstext suggeriert, wir hätten noch keine Berufsarmee. Doch das Verteidigungsministerium, eine Institution von kakanischen Ausmaßen, beschäftigt 22.560 Personen, das entspricht ca. 17 Prozent der Bundesbeamten (2011). Jeder sechste Staatsdiener der Nation ist also bereits ein Berufssoldat.

Zu kritisieren wäre weiters das Ausklammern der Geschlechtergerechtigkeit und der Umstand, dass sich die Regierung bisher nicht dazu geäußert hat, ob die Wehrpflicht nun tatsächlich aus der Verfassung gestrichen oder ob sie - wie in den USA und in Deutschland - nur außer Kraft gesetzt werden soll. Das alles kümmert die indifferenten Neutralisten wenig; für sie kann friedensstiftende Außenpolitik auf der internationalen Bühne mit jedem Stiefel betrieben werden. Warum ist dieser Standpunkt falsch?

1. Alle drei Bestimmungen des Neutralitätsgesetzes (keine Kriegsteilnahme, keine fremden Truppen, keine fremden Stützpunkte) zielen klar auf die völkerrechtliche Kriegsächtung. Neutralität ist kein Konzept der Nichteinmischung oder der humanitären Reparaturkolonne, sie verpflichtet zu kontinuierlicher Arbeit an einer besseren Welt, und das heißt zur Abrüstung. Ein Berufsheer kann schrittweise verkleinert werden, eine Wehrpflichtarmee nicht - denn ihr Umfang ergibt sich aus der Mannstärke der Einberufenen. Wir entscheiden also im Jänner, ob die Demoskopie zur Grundlage der Sicherheitspolitik gemacht werden soll. Abrüstung bleibt der Schlüssel zu einer gerechteren Weltordnung. Schwächung allein humanisiert Großmächte. Wir marschieren nicht mehr an der Seite anderer, im gleichen Schritt und Tritt, und haben uns dabei nichts vorzuwerfen. Denn wir sehen im internationalen Strafrecht mehr als geduldiges Papier.

... zur Abrüstung

2. Österreich bindet seine Neutralitätspolitik seit 1955 strikt an ein Mandat der Vereinten Nationen. Warum werden Wehrpflichtige zum Zwecke der Friedenssicherung nach der UN-Charta nicht zugelassen? Weil das Völkerrecht die Wehrpflicht als eine allgemeine Bürgerpflicht auffasst, gebunden an die territoriale Verteidigung des Nationalstaates. Sie ist nicht als universeller Friedensdienst interpretierbar; das kollektive Sicherheitsmodell der UN verlangte Berufsarmeen.

Die Gefahren des Interventionismus sind benannt: dass der Umfang der Krisenreaktionskräfte vergrößert wird; dass eine Berufsarmee ihren Nichteinsatz rechtfertigen muss, statt dass die Politik ihren Einsatz rechtfertigen müsste. Die Aufgabe eines Neutralen kann nie in der Konsolidierung von Imperien liegen. Wir müssen bewaffnete Konflikte in zivile umwandeln und durch mehr internationale Polizeieinsätze (derzeit gibt es nur fünf in Afghanistan, Palästina, Georgien, Kosovo) innerhalb von rechtsstaatlichen Normen bearbeiten.

Österreich braucht gegen niemanden militärische Entschlossenheit zu demonstrieren. Darum unterschreibe ich am 20. Jänner den SPÖ-Vorschlag und flüchte mich nicht in eine politikferne Position, die keinen Zusammenhang mehr zwischen dem Neutralitätsgesetz und dem Wehrsystem zu sehen vermag. Mit dem Darabos-Modell des Profiheeres rückt die Außerdienststellung des überholten Bundesheeres einen historischen Schritt näher. Es schafft die gesetzliche Grundlage zur Verkleinerung der Armee. (Wolfgang Koch, DER STANDARD, 1.12.2012)