Prototyp oder Nachahmung? 1903 entwarf Kolo Moser für die WW ein solches Modell.

Foto: Dorotheum

Auszug aus dem Kalkulationsband der Wiener Werkstätte mit den Tischlampen-Modellen M 88 bis M 90 (Waltraud Neuwirth, "Wiener Werkstätte – Avantgarde Art Déco Industrial Design", Selbstverlag, 1984)

Foto: Repro / W. Neuwirth, 1984

Geradezu besonders achtlos sei die völlig verdreckte Tischlampe im hintersten Winkel der Schaustellung im Dorotheum aufgestellt gewesen. Laut Katalogangaben von Kolo Moser, datiert 1903 und auf 700 bis 1000 Schilling taxiert. Innerhalb von Sekundenbruchteilen hatte Ernst Ploil, damals noch Sammlerfrischling, Feuer gefangen. Bringen's mir die, lautete die Order an seinen Mittelsmann. Geld spiele keine Rolle.

"Jetzt werden sie mich doch erschlagen", wurde der im Anschluss an die Auktion dann vorstellig, denn erst bei 140.000 Schilling hatte er den Auftrag erfüllt. Das war Anfang der 1980er-Jahre, und seither ziert dieses ehemals für den Modesalon Flöge ausgeführte Modell Ploils Schreibtisch: tagaus, tagein, von den Ausflügen als Leihgabe für Ausstellungen mal abgesehen, etwa in die Neue Galerie nach New York.

Dort ist für kommendes Jahr eine große Kolo-Moser-Retrospektive geplant und ein daraus resultierender Anstieg der Nachfrage für seine Entwürfe absehbar. Deshalb haben spezialisierte Sammler entsprechende Angebote derzeit weltweit mehr als sonst auf dem Radar. Um sich quasi zeitgerecht die besten Moser-Rosinen aus dem Markt zu picken. Für Besitzer solcher in der Frühzeit der Wiener Werkstätte (WW) entstandenen Objekte, die einen Verkauf planen, beginnt die profitable Phase genau jetzt.

Insofern durfte man für Montagabend dieser Woche im Dorotheum ein entsprechendes Bietgefecht erwarten, wo in der Sparte Jugendstil das gleiche Lampenmodell zum Aufruf gelangen sollte. Dazu kam es nicht: Lot 571 wurde vor der Auktion zurückgezogen. "Eine reine Vorsichtsmaßnahme", erklärt Expertin Julia Blaha. Aufgrund verschiedener Merkmale (u. a. fehlende WW-Marken) hatte sie die Alpaka-versilberte Lampe 1902 datiert und als Prototyp für ein ab 1903 bei der WW produziertes Modell deklariert. Eine Meinung, mit der sich andere Fachleute nicht anfreunden wollten, wie ein Standard-Rundruf ergab.

Dazu ist Detailwissen gefragt: Im WW-Archiv (MAK) findet man im zugehörigen Modellbuch Skizzen zu einer Serie von drei vergleichbaren Modellen (Nr. M 88 bis 90), die sich jedoch von der Lampe im Dorotheum und jener im Besitz Ernst Ploils unterscheidet, bestätigt MAK-Kustodin Elisabeth Schmuttermeier. Sie vermutet, es handelt sich um die unter " D" (ohne Skizze) verzeichnete Variante. Die Gemeinsamkeit aller vier Modelle: Die Lampen aus versilbertem Messingblech (nicht Alpaka) wurden laut Archiv jeweils nur zweimal ausgeführt, erklärt Schmuttermeier.

Entlarvende Details

Im Falle des D-Modells einerseits für den Modesalon Flöge (Ernst Ploil) sowie andererseits, ergänzt um einen seitlichen Schalter, für die Familie Stonborough-Wittgenstein. Diese ersteigerte Rudolf Leopold im März 1995 bei den "Wiener Kunst Auktionen": für 1,25 Millionen Schilling (ca. 90.800 Euro). Ein stolzer Preis, der womöglich jemanden zur Idee verleitete, Kopien zu produzieren, die um alte Patina "ergänzt" nun den Markt infiltrieren? Vermutlich. Die großzügige Katalogabbildung könnte dabei als passable Vorlage gedient haben. Auf Finessen legen Nachahmer mangels handwerklichen Wissens zu wenig Wert. Mal abgesehen von den mittlerweile gut überprüfbaren WW-Marken, die (bewusst?) fehlen. Im Rahmen der Art-&-Antique-Messe jurierte man jüngst ein solches Beispiel aus: 300.000 Euro hätte das 1902 datierte und Josef Hoffmann zugeordnete Leuchterpaar kosten sollen.

Es sind immer die Details, die stutzig machen, erläutern heimische Experte, und, wie aktuell, an der Prototyptheorie zweifeln lassen: Dabei geht es meist um die technische Verarbeitung, auf die gerade bei der WW extrem hoher Wert gelegt worden war. Etwa auf welche Weise die Streben im Lampenfuß fixiert und verlötet wurden; oder auch um den Hammerschlagdekor, für den, sagt ein Restaurator, ein falsches Werkzeug verwendet wurde.

Sowohl dem Jugendstil-Spezialisten Wolfgang Bauer (Bel Etage) als auch Ernst Ploil (für eine Kinsky-Auktion) war die nun im Dorotheum offerierte Lampe im Frühsommer angeboten worden. Beide lehnten ab. Er habe sie postwendend als Fälschung enttarnt, bestätigt Ploil, und dies den Anbietern auch mitgeteilt.

Die Expertin im Dorotheum glaubt dennoch an die Echtheit. Auch, weil die Einbringer versichert hätten, dass sich die auf 100.000 bis 150.000 Euro taxierte Lampe seit zumindest 45 Jahren in Familienbesitz befände, wenn nicht länger. Dafür sucht man nun Beweise. Sind derzeit womöglich mehrere Varianten dieses D-Modells in Umlauf? Ja, bestätigt Julia Blaha, der vergangene Woche eine weitere Version übergeben wurde. Mit Schalter. Ohne WW-Marken. Die Nachahmung eines Prototyps einer Kopie eventuell. (kron, Album, DER STANDARD, 1./2.12.2012)