An sich eignet die feuchte und nebelige Po-Ebene sich gar nicht für die Lufttrocknung edlen Schinkens.

Foto: Georges Desrues

Echter Culatello di Zibello mag korrekt als "Ärschlein von Zibello" übersetzt werden, er gilt dennoch als Krönung italienischen Schinkenhandwerks. Die Keulen der im Freien gehaltenen Schweine werden entbeint,...

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... in einer Schweinsblase verschnürt und...

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... über etliche Monate in feuchten Kellern gereift, damit Edelschimmel ihren Geschmack aufs Nobelste veredle.

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"Das wahre Geheimnis unserer Ärschlein liegt im Nebel und in der Feuchtigkeit", sagt Giovanni Lucchi mit ernster Miene. Nun ist Herr Lucchi Italiener und spricht von culatelli statt Ärschlein, was aber die exakte Übersetzung ist. Seit Jahrhunderten wird der Culatello, ein entfernter Verwandter des Prosciutto aus entbeinter und rosettenförmig straff verzurrter Schweinskeule, nur in einigen Gemeinden um den Ort Zibello an den Ufern des Po erzeugt.

Seine Herstellung beginnt traditionell ab November, wenn die Temperaturen zwischen Alpen und Apennin sinken und der Nebel über die Felder und Kanäle zieht. "Er ist wichtig für die Reifung, weil er die nötige Feuchtigkeit bringt", sagt Lucchi und entriegelt die Türe zu einem steinernen Kellerraum. Hunderte Culatelli hängen hier, ein paar Fenster weisen in Richtung Fluss: Im Herbst und Winter lassen sie kühle Luft und Nebel das Gewölbe fluten und die Schinken umhüllen.

Die Sau als Kultobjekt

Über Jahrhunderte hat sich in der Po-Ebene eine Hochkultur der Salumi - der Schinken- und Wurstwaren - entwickelt. Aber nirgends wird um die Sau ein solcher Kult betrieben wie hier in der Heimat Giuseppe Verdis, der in der Gegend ein weitläufiges Landgut besaß. Ohne Antipasti aus Affettato misto - einer Auswahl aufgeschnittener Wurstwaren - ist eine Mahlzeit hier gar nicht denkbar.

So dienen die Schweine auch nicht nur zur Produktion des berühmten Prosciutto aus Parma oder des edlen Culatello aus Zibello. Aus dem Nacken der Tiere macht man Coppa, aus dem Hals den Ossocollo, aus dem Bauch die Pancetta und aus dem ganzen Rest die Salami und sonstige Würste - darunter auch den Cotechino, eine Schwartenwurst, die mehrere Stunden kochen muss, bis sie weich und genießbar wird.

Der Keller mit den noblen Ärschlein an der Decke gehört zur Antica Corte Pallavicina, einem Palast aus dem 16. Jahrhundert, in dem ein elegantes Hotel-Restaurant untergebracht ist. Von hier aus wird auch die angeschlossene Landwirtschaft verwaltet. Um das Anwesen weiden weiße Kühe, etwas weiter suhlen sich schwarze und weiße Schweine, aus deren Hintern irgendwann Culatelli geschnitten werden. Vom Palast sind es nur ein paar Schritte zu einem Deich, dahinter windet sich der Po durch einen dichten Auwald aus Birken, Weiden und Schilf. "Unter dem Keller verläuft ein Arm des Flusses und bringt zusätzlich Feuchtigkeit", sagt Lucchi.

Ein Frage der Zeit, Temperatur und Feuchtigkeit

Prosciutto, wie er in den Hügeln um Parma an viel trockenerer Luft reift, würde in derart feuchtem Ambiente verderben. In den Dörfern am Fluss wusste man aus der Not eine Tugend zu machen. Für den Culatello werden die Keulen von ihren Knochen und Schwarten befreit, das Fleisch wird mit Rotwein, Pfeffer, Salz und Knoblauch eingerieben und das Ganze wird in eine Schweinsblase gefüllt, die mittels Bindfaden in Form gebracht wird - alles in Handarbeit.

"Die Schweinsblase ist durchlässiger als die Schwarte, durch sie können Luft und Edelschimmel eindringen, was dem Culatello seinen einzigartigen Geschmack verleiht", sagt Lucchi. Danach ist alles eine Frage von Zeit, von Temperatur und eben von Feuchtigkeit. Mindestens zehn, meistens aber 14 und bis zu 40 Monate muss der Culatello reifen, bevor er auf die Festtagstische der Italiener darf. In einer ersten Reifephase hängt er in sehr hohen, noch luftigeren Lagerhäusern, wo er allwöchentlich von Hand gebürstet wird. Erst dann geht es in den niedrigen, extrafeuchten Steinkeller des Palasts.

Auf das Mikroklima kommt es an

Schön anzusehen sind sie nicht, die birnenförmigen, rugbyballgroßen Culatelli: Wie Spinnweben ziehen sich Netze aus Schimmel an ihrer Außenseite. Sie umfassen ein Stück Fleisch, das nach langer Lagerung auf ein Drittel geschrumpft ist und auf ersten Blick unappetitlich wirkt, verkümmert und ausgetrocknet. Einmal angeschnitten, enthüllt der Culatello sein prächtiges Rubinrot und makelloses Weiß. Dann verströmt auch sein einzigartiger Duft, der zugleich an Rosen und Moschus erinnert, gelegentlich mit leichten Noten von Alkohol und Rotwein. Behutsam schneidet Lucchi ihn in dünne Scheiben. Im Ansatz schmecken sie nahezu süßlich und erstaunlich frisch, mit reiferen Tönen im Abgang und lange anhaltendem würzigem Nachgeschmack.

"Natürlich werden die meisten Culatelli heute in Kühlhäusern gereift", sagt Lucchi, "aber der spezifische Einfluss der Region und unseres Mikroklimas wird aber nur offenbar, wenn er, wie bei uns, nach der traditionellen Methode gereift wird." So gerät Culatello zur Krönung italienischer Wursthandwerkskunst, eine von Jahreszeit, von Nebel und Feuchtigkeit geprägte Delikatesse. (Georg Desrues, Rondo, DER STANDARD, 30.11.2012)