In Mitterding (Oberösterreich) herrschte bei einem Konzert im Dezember 2006 gute Stimmung, ein Musikliebhaber stellte ungeniert seine Hakenkreuz-Tatoos zur Schau. 

 

 

Foto: Thomas Kuban

Wenn Thomas Kuban öffentlich auftritt, verkleidet er sich.

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In "Blut muss fließen" berichtet Kuban von seinen Erlebnissen.

Foto: Thomas Kuban

Aus dem Haus geht Thomas Kuban selten. Wenn er doch mal öffentlich auftritt, dann verkleidet er sich als eine Art Heino mit blonder Perücke und dunkler Sonnenbrille. Wollmützen und Bärte hat er auch in seinem Fundus.

Er heißt in Wirklichkeit auch ganz anders - wie, das weiß nur sein allerengstes Umfeld. Denn der Journalist hat sich auf eine gefährliche Mission eingelassen: Jahrelang schlich er sich unerkannt auf Neonazi-Konzerte und beobachtete die braune Szene mit versteckter Kamera.

"Eines Tages machte mich ein Kollege auf eine Veranstaltung in der Nähe meines Heimatorts aufmerksam. Ich ging hin und konnte nicht glauben, was ich da sah", schildert er im Gespräch mit dem Standard den Beginn seiner Arbeit. Das Thema ließ ihn nicht mehr los, ab 2003 nahm Kuban dann versteckte Kameras mit.

Mehr als 50 Konzerte in Deutschland, der Schweiz und Österreich - viele als "Privatpartys" in Hinterzimmern oder auch auf Bauernhöfen getarnt - hat er besucht. Es waren nicht alleine Hakenkreuzfahnen, Hakenkreuz-Tatoos, Hitlergruß oder "Heil-Hitler"-Gebrüll, das ihn entsetze.

Lächelnde Polizisten

Kuban: "Ich habe oft erlebt, dass die Polizei und der Verfassungsschutz ebenfalls anwesend waren und nicht einschritten." Im Gegenteil: Von einem Konzert in Oberösterreich im Jahr 2006 hat er Fotos von Polizisten, die den Konzertbesuchern freundlich zulächeln. "Das macht die Szene so stark, die wissen, sie können machen, was sie wollen", sagt er.

Musik von rechten Bands wie "Race War" oder "Braune Brüder" gilt auch bei vielen Experten in Deutschland als "Einstiegsdroge" in die rechte Szene. "Junge Leute kann man auf diese Weise gut erreichen", sagt Kuban. Textzeilen wie "In Auschwitz weiß ein jedes Kind, dass Juden nur zum Heizen sind", singt das Publikum dann gemeinsam aus voller Kehle.

Wo rechte Bands auftreten, ist auch die NPD nicht weit, hat Kuban beobachtet. "Bei den sogenannten Privatpartys treten sie zwar nicht als Redner auf, aber namhafte Funktionäre sind anwesend", sagt Kuban, der sich für seine Recherchen unzählige erfundene Existenzen im Internet zulegte, um an Informationen aus der Szene zu kommen.

Erfahrungen in Buch dokumentiert

Er hat seine Erfahrungen in einem Buch niedergeschrieben, das nun auf dem Markt ist. Blut muss fließen - Undercover unter Neonazis (Campus-Verlag) heißt es in Anlehnung an einen Neonazi-Hit, der mit folgenden Zeilen beginnt: "Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig, lasst die Messer flutschen in den Judenleib."

Der Regisseur Peter Ohlendorf hat Kuban bei seinen Konzertreisen begleitet, daraus ist ein Film entstanden, der schon bei der Berlinale gezeigt wurde. Am 3. Dezember läuft er beim "Polit-Film-Festival 12" im Innsbrucker Leokino. Ohlendorf wird anwesend sein, Kuban wieder einmal nicht.

"Es ist zu gefährlich, ich kann nicht riskieren, dass meine Tarnung auffliegt und ich als 'Verräter' dastehe", erklärt er. In jüngster Zeit haben ihn sogar schon Verwandte gefragt: "Sag mal, bist du derjenige, der sich da bei den Neonazis eingeschlichen hat?"

"Parallelwelt existiert"

Kuban, der sein Alter mit "plus/ minus 40" angibt, hofft, dass sein Film eines Tages einen Sendeplatz im Fernsehen bekommt - nicht nur aus finanziellen Gründen: "Die Leute sollen erkennen, was für eine schreckliche Parallelwelt da existiert."

Doch es gibt auch Lohn für seine Mühen. Kuban konnte im deutschen Bundeskriminalamt vor 400 Polizisten referieren und Einblicke in die Szene geben. Und er sagt, dass ihm seit 2006 keine größeren Neonazi-Konzerte in Österreich mehr bekannt seien. (Birgit Baumann aus Berlin/DER STANDARD, 29.11.2012)