In den vergangenen Tagen und Wochen war viel über das Flüchtlingslager Traiskirchen zu hören - von unmenschlichen Zuständen und Überfüllung, von Gewalt und Kriminalität. In Wien protestieren Asylwerber in einem Camp vor allem gegen langwierige Asylverfahren und mangelnden Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten. Bei einem geführten Rundgang gewährt Franz Schabhüttl, Leiter der "Betreuungsstelle Ost", einen Einblick in jenes Gelände, auf dem die meisten österreichischen Asylwerber leben.

Foto: Michael Hierner / www.hierner.info

Vom Haupttor weg geht es durch einen Mikrokosmos, der normalerweise nur von Flüchtlingen, dem Personal und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen betreten werden darf. Täglich treffen hier Menschen ein, die nach meist tage- oder wochenlanger Flucht aus ihrer alten Heimat nur noch einen Wunsch haben: Asyl.

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Errichtet wurde das heutige Flüchtlingslager Traiskirchen als Artilleriekadettenschule, in der die Offiziere der k. u. k. Monarchie ausgebildet wurden. In der 1903 fertiggestellten Anlage gab es fast alles: Mannschaftswohngebäude, eine Kapelle, Reitschule und Stallungen, eine Schwimmschule, ein Glashaus und sogar eine Kegelbahn. In der NS-Zeit diente das Gebäude als Kulisse zur Ausbildung der nationalsozialistischen Elite. In der Besatzungszeit wurde es zu einer russischen Kaserne und ab 1955 erstmals ein Flüchtlingslager.

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Seither hat sich viel geändert, nicht nur politisch. Diese sechs Telefonzellen sind ein Beispiel dafür. "Das waren früher die gewinnträchtigsten Telefonzellen der Post, ihr Umsatz damit war gigantisch. Heute hat jeder ein Handy mit Wertkarte, die Telefonzellen werden nun kaum mehr benützt", erzählt Schabhüttl.

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Für Neuankömmlinge im Flüchtlingslager ist das Prozedere genau geregelt: Nach einer ärztlichen Untersuchung wird in der internen Polizeistation geklärt, ob ein Recht auf Asyl gewährt werden kann. Mittels Fingerscans, Fotos und evtl. vorhandener Dokumente wird eruiert, ob nicht bereits woanders ein Antrag gestellt wurde.

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Ist das alles geklärt, bekommen die Asylsuchenden einen Raum zur Verfügung gestellt. Hier gibt es verschiedene Variationen - vom Einzelzimmer bis zum Schlafraum für Gruppen. Ein besonderer Ort ist hierbei das Frauenhaus (im Bild links hinten), welches rund um die Uhr von einem Securitydienst bewacht wird. Da der Anteil der Männer im Flüchtlingslager extrem hoch ist, fühlen sich viele Frauen wohler, wenn sie einen eigenen Platz haben, an dem keine Männer erlaubt sind.

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Eigentlich nur für Frauen gedacht ist auch das Haus des Kinder- und Frauentreffs. Neben einer Spielecke für Kleinkinder befindet sich hier ein Raum mit einer Nähmaschine. Es wird erzählt, dass diese meist von Männern benutzt wird. Und auch diesmal sitzt ein etwa 20-Jähriger davor und näht eine Hose. Für viele Männer ist dieses Haus ein Zufluchtsort vor der oft rauen Situation in anderen Häusern am Gelände.

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Nur wenige Meter weiter wird Handball gespielt. Sport ist mitunter der wichtigste Zeitvertreib der meist recht jungen Asylwerber und eine gute Möglichkeit für sie, um Energien abzubauen.

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Auch die Sporthalle dient diesem Zweck. Die meisten spielen am "Wuzler" oder den Tischtennistischen. Auch der Boxsack wird immer wieder mit der nackten Faust geschlagen. "Die Ketten am Boxsack werden in diesem Raum am öftesten kaputt", erklärt der Lagerleiter.

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Im Raum nebenan befindet sich ein Kiosk. "Neben Produkten des täglichen Gebrauchs wie Duschgel, Schuhpasta, Haltbarmilch oder Damenbinden befindet sich hier auch ein großer Zigarettenautomat, der vom ortsansässigen Trafikanten befüllt wird", so Franz Schabhüttl (rechts im Bild).

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Im großen Haupthaus gestattet Schabhüttl nicht, einen Schlafraum zu fotografieren. Dies sei aufgrund der Privatsphäre der Bewohner nicht möglich. Im Eingangsbereich des Hauses befindet auch ein massives Drehkreuz. Ein Blick hinter diesen Kontrollposten wird aber genehmigt.

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Dahinter befindet sich der Speisesaal, in dem es eine Stunde später ein fleischliches und ein vegetarisches Gericht geben wird. Viele Einwohner sind Moslems, also steht Schweinefleisch nie am Speiseplan. Aber auch Rindfleisch kann ein absolutes Tabu sein, zum Beispiel bei Asylwerbern aus Indien.

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Am Weg zurück zum Eingang treffen wir auf zwei Ärztinnen. Sie erzählen, dass sie gerade einen kleinen Buben aus Aserbaidschan vom Frauenhaus auf die Krankenstelle verlegt haben. Das Kind hatte sich bereits in seiner Heimat mit Masern angesteckt. Nach der Flucht habe sich sein Zustand verschlechtert und das Virus inzwischen das Gehirn des Buben irreparabel angegriffen. Für Kinder ist die Situation im Lager Traiskirchen oft besonders schwer. Erst vor kurzem wurde auf dem Gelände eine Schule eröffnet.

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Inzwischen wird es im Lager dunkel und ein reges Treiben setzt ein. Viele fahren mit der "Nabelschnur" Badner Bahn nach Wien oder treffen sich mit Freunden in Traiskirchen. Wer das Flüchtlingslager verlässt, zeigt dem Pförtner kurz seinen Ausweis, der wie an einer Supermarktkassa gescannt wird.

"Das Lager ist ein offenes, jeder Flüchtling darf kommen und gehen, wann er will. Bleibt er allerdings länger als 48 Stunden fern, wird er automatisch abgemeldet und verliert seinen Wohnplatz im Lager. Das ist eine Regel, an die sich jeder hält", erklärt Schabhüttl zum Abschied. (Michael Hierner, derStandard.at, 28.11.2012)

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