Tomas Fellinger erzählt von den "Geggis". Die Aufbereitung in Gebärdensprache bemüht sich um besondere Ausdrucksstärke

Foto: Equalizent

Mira Lobes "Das Kleine Ich bin ich" ist eines der Bücher, die in der SignLibrary in Gebärdesprache abrufbar sind.

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Beim Wort "Felsenkraxler" formt der Mann im grünen Hemd seine Hände zu Krallen und schiebt sie vor sich auf und ab. Für die Gebärdensprache-Variante des Kinderbuchs Die Geggis von Mira Lobe und Susi Weigel (Verlag Jungbrunnen) musste das Vokabel kurzerhand neu erfunden werden. Zeilen wie "überlass das gefälligst den Felsenkraxlern, den hässlichen, grässlichen Schluchtenhaxlern", wären ohne den kreativen Einsatz kaum in der Bildersprache begreiflich zu machen.

Der Mann in Grün heißt Tomas Fellinger, und er ist einer der längstdienenden Mitarbeiter des Schulungsinstituts Equalizent, das sich um die Vermittlung von Gebärdensprache kümmert. Die Aufbereitung der Geggis für Gehörlose soll, ergänzt mit weiteren pädagogischen Materialen von der Vokabelsammlung bis zu Memory-Karten und Puzzles, künftig einen zweisprachigen Unterricht unterstützen. Equalizent arbeitet dabei im Rahmen des EU-Projekts "Signlanguage@school" mit Partnerinstitutionen aus Deutschland und Bulgarien zusammen.

Als Angebot für Lehrende von Gehörlosen - nur etwa 30 Prozent sind der Gebärdensprache mächtig - sollen die fächerübergreifenden Materialien auf www.sign language-school.eu helfen, Schüler in ihrer aus Gesten und Mimik bestehenden Erstsprache zu fördern. Erst wenn sie ihre Sprache beherrschen und gefestigt haben, können Schüler die Zweitsprache, etwa die deutsche Schriftsprache, sinnvoll erlernen.

Man müsse bedenken, dass geschriebene Buchstaben und Wörter im Deutschen lediglich Laute abbilden, die den Gehörlosen unzugänglich sind, erklärt Equalizent-Geschäftsführerin Monika Haider im Standard-Gespräch. Das Argument, dass Gehörlose ohnehin Bücher lesen könnten und keine Medien in Gebärdensprache benötigten, gehe also in die Irre. Tatsächlich seien viele Gehörlose funktionale Analphabeten. "Ohne eigene Sprache ist abstraktes Denken nur schwer erlernbar. Und ohne abstraktes Denken können sich Gehörlose wenig von einer Welt, die über das Hier und Jetzt hinausgeht, erschließen", sagt Haider. Eine Schriftsprache auswendig zu lernen, ohne sie zu verstehen, bringe nicht viel.

Tomas Fellinger und die weiteren Vortragenden, die zu den online abrufbaren Gebärdesprache-Filmen beitragen, bemühen sich, vor animierten Hintergrund möglichst expressiv, mit beinahe schauspielerischen Ansätzen, zu agieren. Bestenfalls würden die ausdrucksstarken Gesten ohne Ton selbst von Zusehern verstanden, die keine Gebärdensprache beherrschen, erklärt Stefanie Fieber-Grandits von Equalizent.

Online-Bibliothek

Auch das Vorgängerprojekt beschäftigte sich mit Büchern in Gebärdensprachen. Dabei kümmerten sich die Leute von Equalizent um eine Online-Bibliothek in Gebärdesprache, die beim vergangenen Multimedia-Staatspreis ausgezeichnet wurde. Bücher wie Mira Lobes Das kleine Ich bin ich oder Irvin Yaloms Und Nietzsche weinte sind auf www. signlibrary. eu in visueller Sprache zugänglich. In Franz Kafkas Verwandlung erzählt Günter Roiss mit starker Mimik und Gestik vom Gefühl der Romanfigur, plötzlich als Ungeziefer aufzuwachen. Deutsche Kollegen erstellten eine Gebärdensprache-Version von Rainer Maria Rilkes Panther.

Die Mittel einer gebärdesprachlichen Poesie unterscheiden sich naturgemäß von einer lautsprachlichen. Sie lebt von Mimik, Form der Bewegung, Geschwindigkeit und Takt der Gesten, erklärt Fieber-Grandits. " Man malt ein Bild in den Raum. Ich sage nicht Tiger, ich bin selbst der Tiger." Die Gebärdensprache sei Teil einer eigenen Kultur mit eigener Kunst und eigenem Humor. Allerdings ist die erst 2005 in Österreich offiziell akzeptierte Minderheitensprache, die im Land etwa 20.000 Menschen, davon 10.000 Gehörlose sprechen, noch kaum wissenschaftlich erforscht.

Auch ihre Internationalisierung ist noch wenig weit fortgeschritten. Die Gebärden haben sich regional entwickelt. Die gemeinsame Geschichte hat etwa dafür gesorgt, dass die österreichische Gebärdensprache der tschechischen ähnlicher ist als der deutschen. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 28.11.2012)