Der Brown-Moses-Blog ist im Laufe des syrischen Bürgerkriegs eine immer wichtigere Informationsquelle geworden. Vom Guardian bis zur New York Times zitieren internationale Medien die Berichte und Entdeckungen über Waffen im syrischen Bürgerkrieg. Hinter dem Blog steht Eliot Higgins, der in seiner Freizeit täglich hunderte von Videos aus dem syrischen Bürgerkrieg sammelt, filtert und analysiert. In einem E-Mail-Interview mit derStandard.at erklärt der Brite seine Methodik und die teilweise kuriose Waffensysteme, die er entdeckt hat.

derStandard.at: Seit mehr als eineinhalb Jahren tobt nun schon der Konflikt in Syrien. Der Westen behauptet, er liefere keine Waffen an die syrischen Rebellen. Wie konnten die oppositionellen Kräfte dann aber so lange gegen die sehr gut ausgerüstete Armee Assads bestehen?

Higgins: Abgesehen davon, dass die Rebellen hoch motiviert sind, konnten sie die Ressourcen, die sie haben, sehr effektiv nutzen. Eine immer wichtigere Rolle spielen dabei selbstgebastelte Sprengsätze (Improvised Explosive Devices), die die Straßen Syriens für gepanzerte Fahrzeuge extrem gefährlich gemacht haben. Der Transport von Infanterieeinheiten ist dadurch sehr gefährlich geworden. Der vermehrte Einsatz von Helikopter ist vermutlich die Antwort auf diese Sprengsätze.

Anders als in Libyen scheint die syrische Opposition Zugang zu einer signifikanten Anzahl an Panzerfäusten zu haben, die im urbanen Kampfgebiet sehr effektiv gegen gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt werden können. Auffallend ist auch, dass die bewaffneten oppositionellen Kräfte – speziell in Aleppo – eine steigende Zahl an ausländischen Kämpfern in in ihren Reihen haben, die viel Erfahrung mitbringen.

derStandard.at: Woher haben sie all diese Waffen?

Higgins: Das ist schwer zu sagen, doch bisher scheint es so, als ob die Rebellen großteils Waffen verwenden, die auch schon die syrische Armee verwendet hat. Es ist daher nicht unlogisch anzunehmen, dass diese Waffen aus Beständen der syrischen Armee erbeutet wurden. Aber 100 prozentige Sicherheit gibt es darüber nicht.

derStandard.at: Das Regime hat seine Luftwaffe relativ spät im Konflikt eingesetzt. Warum?

Higgins: Erstmals wurden Helikopter mit Maschinengewehren und S-5 Raketen im April eingesetzt. Ende Juni sah ich erstmals auf Videos, wie 250-Kilo-Bomben von Helikoptern abgeworfen wurden. Eine weitere Eskalationsstufe waren schließlich Brandbomben, die von Migs abgeworfen wurden, bis man schließlich im Oktober erste Indizien dafür fand, dass Streu-Bomben abgeworfen wurden. Es ist schwierig sich vorzustellen, dass der Krieg aus der Luft noch weiter eskalieren kann.

derStandard.at: Neben regulären Waffen taucht auch eine immer größere Anzahl an atypischen Waffensystemen in Syrien auf. Können Sie einige beschreiben?

Higgins: Zur Zeit wird eine große Zahl an Raketen von der syrischen Opposition hergestellt. Neuerdings gibt es auch Beispiele, wo nichtdetonierte Streubomben-Munition als Sprengkopf eingesetzt wird. Dabei sind die Rebellen sehr innovativ vorgegangen. Allerdings ist so eine Bastelei auch extrem gefährlich, wenn man bedenkt, wie instabil nicht detonierte Cluster-Bomben sind.

Auch Rohrbomben sind sehr beliebt und weit verbreitet. Um sie über weite Distanzen zu schießen, verwenden die Rebellen überdimensionierte Steinschleudern. Eine Rebellengruppe hat sogar ein eigenes Abschussgerät mit Hilfe einer umgebauten Pumpgun gebaut. Ein sehr interessantes Startgerät, das ich gesehen habe, ist auch ein mit Luftdruck betriebener Granatwerfer, mit dem Molotov-Cocktails abgeschossen werden.

derStandard.at: Abgesehen von diesen eher rudimentären Waffensystemen, haben die Rebellen auch immer mehr hochentwickelte Waffensysteme ergattern können?

Higgins: Erst seit kurzem ist zu sehen, dass die Rebellen immer öfter Raketenwerfer vom Typ-63 verwenden, die 107 mm Raketen über eine Distanz von bis zu 8 Kilometer schießen können. Es ist nicht klar, warum diese Waffen so plötzlich in den Händen der Opposition aufgetaucht sind. Dieselben Waffensystem verwendete aber auch die syrische Armee, also könnte es durchaus sein, dass die Rebellen Kasernen und Munitionslager erobert haben. Merkwürdig ist nur, dass diese Waffen zur selben Zeit fast im ganzen Land aufgetaucht sind.

Unlängst gibt es auch vermehrt Beispiele dafpr, dass die bewaffnete syrische Opposition Panzer und Panzerhaubizen verwendet. Das legt nahe, dass sie die syrische Luftwaffe immer weniger als Bedrohung wahrnimmt. Das könnte daran liegen, dass sie eine immer größere Zahl an SA-7 Luftabwehrraketen erbeutet hat. Es sind auch vermehrt Videos aufgetaucht, die Jets der syrischen Luftwaffe zeigen, wie sie Täuschkörper abwerfen, was ein weiteres Indiz für die verbesserte Luftabwehrbewaffnung der Rebellen ist.

derStandard.at: Abgesehen von der Rebellenkräften der Freien Syrischen Armee gibt es eine steigende Zahl an jihadistischen Gruppierungen? Welche Taktiken und Waffen wenden sie an?

Higgins: Es wurde bereits eine große Zahl an selbstgebastelten Bomben und Autobomben in Syrien eingesetzt. Es scheint, als ob die jihadistische Gruppe Jabhat an-Nusra eine große Rolle vor allem bei der Verwendung von Autobomben und Selbstmordattentätern spielt.

derStandard.at: Ihr Blog ist für internationale Medien zu einer wichtigen Informationsquelle über Waffen und militärische Taktiken in Syrien geworden. Wie ist die Idee für den Blog entstanden?

Higgins: Ich habe die Ereignisse des Arabischen Frühlings von Anfang an genau verfolgt und habe es sehr interessant gefunden, wie man mit Hilfe von sozialen Medien neben den etablierten Medien ein besseres Bild von der Lage vor Ort erhalten kann. Ich habe dann den Blog gestartet, um einige Dinge die ich gefunden habe, aufzuzeigen und im Lauf der Zeit habe ich immer mehr Besucher bekommen.

derStandard.at: Sie stellen dutzende von Videos, die aus Syrien stammen sollen vor. Welche Methodik wenden Sie an, um die Echtheit der Videos zu validieren.

Higgins: Ich habe eine Liste von rund 400 Youtube-Kanälen die ich abonniert habe und beobachte. Ich teile sie in zwei verschiedene Kategorien: Jene, die von syrischen Aktivisten verwendet werden und jene, die Videos von anderen Kanälen erneut uploaden. Letztere sind oft unzuverlässig, ändern den Titel der Videos oder behaupten, dass gewisse Videos aus Syrien stammen, obwohl das gar nicht stimmt. Bei den Kanälen von Aktivisten muss man darauf achten, ob sie in der Vergangenheit irreführende oder Fake-Videos hochgeladen haben.

All diese Kanäle kontrolliere ich täglich und suche nach Ungewöhnlichen, zum Beispiel nach Videos von nichtdetonierten Bomben, ungewöhnliche Waffensysteme oder Exekutionen. Ich versuche das Ursprungsvideo zu finden und die dazugehörige Gruppe zu identifizieren. In anderen Fällen frage ich Personen mit Arabischkenntnissen nach den Dialekten, die auf den Videos zu hören sind.

derStandard.at: Sie erklären oft recht detailliert einzelne Bomben und Waffensystem. Woher kennen sie all diese Details?

Higgins: Es läuft darauf hinaus, dass ich mich einfach sehr oft und sehr lange damit beschäftigt habe und dadurch auch immer wieder mit verschiedenen Waffenexperten ins Gespräch komme. Bevor ich den Blog gestartet habe, konnte ich eine L-39 nicht von einer OFAB 100-120 unterscheiden. Aber nachdem man hunderte von derartigen Videos gesehen hat, bekommt man einen ziemlich guten Wissensstand darüber, was man da sieht und wo es etwaige Unstimmigkeiten gibt. (Stefan Binder, derStandard.at, 28.11.2012)