Hannes Androsch: "Nicht Griechenland wurde bislang gerettet, sondern nur die Banken, besonders deutsche und französische ...

Foto: derStandard.at/Daniela Rom

... Schon im Buch Leviticus im Alten Testament wird alle 50 Jahre ein Schuldenerlass gefordert."

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Mit fortgeschrittenem Lebensalter steht Hannes Androsch über den Dingen. Leise ist er dennoch nicht. Seit vergangener Woche ist er Aufsichtsratschef der Fimbag, die die staatlichen Kapitalhilfen und Garantien der Republik an die Banken Österreichs verwaltet. derStandard.at hat den Industriellen zum Gespräch getroffen. Der Finanzminister unter Bruno Kreisky schildert, welche Ansammlung von "Kakophonien" in Europa und in Österreich herrschen, was bei der Bankenrettung verschlafen wurde, in Europa schief läuft und warum er nicht vor hat, eine Autobiographie zu schreiben.


derStandard.at: Wir wissen, dass Sie ein Süßer sind. Sie essen gerne Palatschinken ...

Hannes Androsch: ... Palatschinken, Mohnnudel, Germknödel, Zwetschkenknödel und Marillenknödel.

derStandard.at: Was hat Ihnen zuletzt den Arbeitsalltag versüßt?

Androsch: Ein Walnussparfait. Allerdings arbeite ich schon lange nicht mehr, ich bin nur mehr tätig. Der Unterschied dabei ist: Arbeiten muss man, tätig zu sein ist freiwillig. Das läuft zwar in der physischen und kognitiven Anstrengung auf das Gleiche hinaus, in der Befindlichkeit macht es aber einen großen Unterschied.

derStandard.at: Was hat Ihnen zuletzt Ihren Tätigkeitsalltag versauert?

Androsch: Ich lasse mir nichts versauern. Das Negative perlt an mir ab. Mit fortgeschrittenen Lebensjahren befindet man sich über der "Baumgrenze". Man blickt weiter zurück, trachtet gleichzeitig danach, weiter nach vorne zu blicken und nimmt aktuelle Dinge nicht mehr so ernst.

derStandard.at: Was sehen Sie, wenn Sie in die Zukunft blicken?

Androsch: Ich sehe eine Kakophonie punktueller Kleinlichkeiten in Europa und bei uns. In Österreich passieren in Biedermeier-Lustigkeit wundersame Dinge: 80 Millionen Euro für die Ganztagsschule werden nicht gebilligt, dafür aber eine Woche später eine sozial asymmetrische, umwelt- und verkehrspolitisch sinnlose Pendlerpauschale in Höhe von 120 Millionen Euro. Zwischenzeitlich wird noch schnell ein Budget beschlossen. Es gibt ein generelles Problem: Österreich ist leistungsstark im ungeschützten Bereich und durch Verschwendung und Privilegien gelähmt im öffentlichen Sektor.

derStandard.at: Und auf europäischer Ebene?

Androsch: Wir befinden uns in einer Eurokrise, weil wir eine politische Krise haben. Gierige Sorglosigkeit hat zu einer Banken- und Wirtschaftskrise geführt, die die Staatsfinanzkrise nicht verursacht, sondern die längst bestehende Schieflage der öffentliche Haushalte verschärft und sichtbar gemacht hat. Wir werden uns noch Jahre damit herumschlagen müssen. Eine so schwere Krankheit kann man nicht mit einem einzigen Skalpellschnitt beseitigen. Für die Südländer ist die Austeritätskeule viel zu wuchtig. Es bedarf zumindest einer Doppel-, wenn nicht einer Triple-Strategie: Man braucht auf einige Jahre ausgelegte Einsparungen in einer für eine Volkswirtschaft verkraftbaren Dosis, gleichzeitig auch in die Zukunft gerichtete Wachstumsimpulse und Strukturveränderungen in den Produktmärkten - nicht zuletzt auch wegen der demographischen Entwicklungen.

derStandard.at: An Griechenland wird schon eine Zeitlang herumgedoktert. Ist das der richtige Weg?

Androsch: Nicht Griechenland wurde bislang gerettet, sondern nur die Banken, besonders deutsche und französische. Schon im Buch Leviticus im Alten Testament wird alle 50 Jahre ein Schuldenerlass gefordert. Man hätte Griechenland nie so viel Geld borgen dürfen, schon gar nicht für Dinge, die das Land nicht dringlich braucht, wie U-Boote, Kampfflieger oder Kampfhubschrauber. Unserer Währung kann die Schuld an der jetzigen Krise nicht zugeschrieben werden, diese ist Resultat einer weltweit zu lockeren Geldpolitik und verantwortungsferner Kreditpolitik, aber auch des Maastricht-Systems mit seinen Mängeln beziehungsweise Konstruktionsfehlern. Ich erinnere daran, dass die ersten, die sich an die unzulänglichen Maastrichtregeln nicht gehalten haben, Länder wie Frankreich oder Deutschland waren.

derStandard.at: Die USA stehen mit ihren Schulden noch weitaus schlechter da als einige Länder der Eurozone.

Androsch: Niemand käme auf die Idee zu sagen, Louisiana oder New Mexico sollten aus den Vereinigten Staaten austreten. Die USA haben der Eurozone voraus, dass sie institutionell besser aufgestellt sind. Die Amerikaner haben zwar maßgeblich die weltweite Finanzkrise verursacht und die Europäer haben aus Gier oder Dummheit, wahrscheinlich aus einer Mischung aus beidem, brav mitgemacht. Doch im Endeffekt wurde der US-Bankensektor durch Regulierung, Aufsichtsbehörden und strafrechtliche Verfahren wieder in Ordnung gebracht.

derStandard.at: Apropos Bankenrettung. Kommen wir nach Österreich. Fallen die neu errechneten 2,2 Milliarden Euro Kapitalbedarf der Hypo Alpe Adria dem Steuerzahler nicht auf den Kopf?

Androsch: Daran, dass die Bankenrettung am Ende des Tages einige Milliarden gekostet haben wird, werden wir nicht vorbeikommen. Durch die riesigen Haftungen des Landes Kärnten wäre bei einer Nicht-Rettung der Hypo eine Landespleite herausgekommen, was man nicht zulassen durfte, weil in der Folge die übrigen Bundesländer und selbst der Bund betroffen gewesen wären. Jetzt muss man danach trachten, unter Vermeidung etwaiger Panikhandlungen, aus dem Schlamassel mit dem geringsten Schaden für den Steuerzahler herauszukommen.

derStandard.at: Den Steuerzahlern hat man die Bankenrettung am Anfang als Bombengeschäft für die Republik verkauft. Glatte Lüge oder Unwissenheit?

Androsch: Es war von Anfang an klar, dass das nur Wunschdenken ist. Tagträumen darf man aber. Weihnachtszeit war im Übrigen damals auch.

derStandard.at: Ist auch die Bankenrettung in Österreich in erster Linie ein politisches Problem?

Androsch: Das Geldsystem ist in einer Wirtschaft und einer Gesellschaft ein unentbehrlicher Bestandteil gleich dem Blutkreislauf für die physiologische Existenz eines Lebewesens. Tritt eine Krankheit ein, muss man danach trachten, diese zu heilen. Beginnend von einer Notverarztung - wie das auch bei der Bankenrettung der Fall war - über die medizinische Versorgung bis hin zur Therapie. Meine Kritik ist, dass man nach erfolgreicher Notverarztung mit der Therapie, etwa im Fall der Hypo, nach inzwischen vier Jahren immer noch nicht weit genug ist. Wir haben noch keine Vorstellung entwickelt, wie die österreichische Bankenlandschaft in einigen Jahren aussehen soll, damit sie im europäischen Kontext leistungsstark und konkurrenzfähig ist, ohne dem Steuerzahler zur Last zu werden.

derStandard.at: Was muss passieren?

Androsch: Wir haben in Österreich zu viele Banken mit zu vielen Filialen, die zudem überproportional im Osten vertreten sind. Oft hat man zu teuer zugekauft oder ist zu sehr mit Fremdwährungskrediten in diese Länder gegangen und hat damit ein unverhältnismäßig großes Risiko in Kauf genommen. In den nächsten Jahren wird es in Österreich zu einem Rückgang der Bank-Filialen und zu einem kontrollierten Auslands-Obligo kommen müssen. Die Banken werden sich auf ihr biederes Kerngeschäft - Verwaltung von Geldern, Vergabe von Krediten, Abwicklung von Zahlungsverkehr usw. - beschränken müssen. Im Grunde ist das ein langweiliges Geschäft, aber für den Wirtschaftskreislauf unentbehrlich. Aus einem soliden Geschäft darf kein Casino-Geschäft werden.

derStandard.at: Hat das Prinzip "too big to fail" ausgedient?

Androsch: Lassen Sie es mich so formulieren: Wenn jemand 150 Kilo wiegt und einen Verkehrsunfall hat, kann ich auch nicht sagen, ich rette diese Person nicht, weil diese aufgrund des Körpergewichts ein medizinischer Risikofaktor ist. Das Prinzip "too big to fail" besteht, allerdings darf es nur in Verbindung mit strengen und sinnvollen Regelungen zur Anwendung kommen. Alles andere wäre "moral hazard".

derStandard.at: Wechseln wir das Thema: Im Ihrem Vorzimmer liegen neben vielen historischen und wirtschaftlichen Büchern auch mehrere DVDs der Fernseh-Serie "Tudors". Schaut sich das der Hobby-Historiker Androsch an?

Androsch: Ich versuche, so ich Zeit habe, Filme anzuschauen, die mein Sohn gesehen hat. Geschichte hat mich immer schon fasziniert, sie ist einer der kontinuierlichen Schwerpunkte meiner Lektüre. Vor einiger Zeit habe ich mit meinem Sohn für seine Geschichts-Prüfung gelernt. Einen Vierer haben wir bekommen oder war es gar ein Fleck, weil ich bei der Aufarbeitung des Stoffs versucht habe, historische Zusammenhänge zu vermitteln. Die Professorin wollte aber nur Jahreszahlen und aneinandergereihte Fakten aufgezählt wissen.

derStandard.at: Womit wir bei der Bildungsdebatte gelandet wären. Derzeit wird in Österreich wieder einmal sehr ideologisch über das Thema Ganztagsschule diskutiert. Die Kinder seien ja so arm, wenn sie den ganzen Tag in der Schule sind und außerdem sei sie schlecht für die Familien, sagen Kritiker. Was entgegnen Sie diesen?

Androsch: Die Ganztagsschule ist eine gesellschaftliche wie pädagogische Notwendigkeit geworden. Es gibt kaum mehr Mehrgenerationenfamilien, das kann man begrüßen oder beklagen, aber es ist ein Faktum. Außerdem sind in den heute üblich gewordenen Kleinfamilien häufig beide Elternteile berufstätig, zugleich gibt es immer mehr Alleinerziehende. Aus all diesen Gründen braucht man sehr früh eine pädagogische Ganztagsbetreuung. Die Neurowissenschaft und ihre Ergebnisse in punkto Erziehung, Pädagogik und Didaktik zeigen, dass die vielen Einzelkinder, die es heutzutage gibt, im Verband der Kleinfamilie nicht ausreichend sozialisiert werden. Und dass man deswegen schon sehr früh eine Ganztagsbetreuung pädagogisch anbieten muss, schon um das Beherrschen die Landessprache sicher zu stellen.

derStandard.at: Wie erklären Sie sich, dass die wenigen Super-Reichen in Österreich nicht bereit sind, in die Forschung zu investieren oder in Stiftungen à la Bill Gates?

Androsch: In Österreich ist die philanthropische Bereitschaft, wie wir sie aus dem angelsächsischen Raum kennen, unterentwickelt. Außerdem haben wir in unserem Land eine der höchsten Steuerbelastungen. Nicht zuletzt ist Österreich ein barockes, katholisches Land, wo wissenschaftliche Forschung nie einen besonders hohen Stellenwert hatte. Eine science mindedness auf breiter Ebene gibt es nicht. Man ist eher bereit, in Musik oder Kunst zu investieren.

derStandard.at: Wenn wir schon bei den Reichen sind: Von einer Vermögenssteuer halten Sie ja offenbar gar nichts. Warum eigentlich?

Androsch: Man kann alles besteuern, wenn man will. Es gibt Häuser, wo im dritten Stock "Erster Stock" steht, weil darunter Mezzanin und Halbstock liegen. Warum das so ist? Weil es früher eine Stock-Steuer gab. Finanzvermögen ist leicht bewegbar und kann schnell dorthin transferiert werden, wo günstigere Bedingungen vorgefunden werden. Grund und Boden will man nicht deutlich höher besteuern, weil davon die Landwirtschaft und Häuslbauer sowie die Wohnungseigentümer und Mieter betroffen werden. Also bleiben nur die Unternehmen über. Das war auch bei der früheren Vermögenssteuer so, die ich in meiner Zeit als Finanzminister bereits vorfand, dass letztlich die Unternehmen für diese Steuer aufgekommen sind. Bei einem Gewinn erhöht sich auf diesem Weg die Gewinnsteuer. Bei einem Verlust fällt diese Steuer trotzdem an. Das geht an die Substanz und ist für die Entwicklung des Unternehmens sowie für das wirtschaftliche Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft negativ, weil die Steuer so zu einer Investitionssteuer wird. Deswegen wurde die Vermögenssteuer auch wieder abgeschafft.

derStandard.at: Eine Vermögenssteuer wird also nicht kommen?

Androsch: Ich glaube nicht, weil es ein Fehler wäre. Abgesehen davon hat man als Ersatz ja die Kapitalertragssteuer eingeführt, die ein Vielfaches bringt. Es wäre ein Unfug und eine Täuschung, würde man die aus guten Gründen weggefallene Steuer wieder und noch dazu zusätzlich einführen.

derStandard.at: Von der Vermögenssteuer zum Milliardär: Wie viel Prozent wird Frank Stronach bei den Wahlen erreichen können?

Androsch: Er wird um die zehn Prozent bekommen, weil man auf diesem Weg protestieren kann, ohne in den Verdacht bräunlicher politischer Neigungen zu kommen. Wobei man sich auch da täuschen kann, weil ich nicht ausschließe, dass wir nach den Wahlen eine Koalition aus ÖVP, FPÖ und Stronach bekommen könnten.

derStandard.at: Wann erscheint Ihre Autobiografie?

Androsch: Ich habe keine Neigung zu einer Autobiographie. Die meisten sind entweder Beweihräucherung oder entbehrliche Enthüllungen. Nach meinem Verständnis ist man als Autobiograph sehr behindert in der Selbstbeschreibung, sodass es nicht viel Sinn macht. Es sei denn, man schafft ein literarisches Werk, so wie der Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda mit seinem Buch "Ich bekenne, ich habe gelebt". (Daniela Rom, Sigrid Schamall, derStandard.at, 28.11.2012)