UN-Chef Ban Ki-moon reiste eigens für die Eröffnung des King-Abdullah-Zentrums für Interreligiösen Dialog am Montag nach Wien. Im Standard-Interview forderte er eine politische Lösung in Syrien und fragte: Wie kann Assad so weitermachen? 

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Wien - Nach der jüngsten Krise zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas im Gazastreifen fordert UN-Generalsekretär Ban Ki-moon einen neuen Anlauf im Nahost-Friedensprozess. "Eine sehr wichtige Lektion ist, dass der Status Quo keine Option ist", sagte Ban am Montag im Gespräch mit dem Standard in Wien. Die Chancen für eine politische Lösung sollten sich verbessert haben.

Mit Blick auf den für Donnerstag geplanten Antrag von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas, von der Uno als Nichtmitgliedsstaat anerkannt zu werden, sagte Ban, ein palästinensischer Staat sei überfällig. Er sollte aber durch Verhandlungen entstehen. Der Exilchef der Hamas unterstützte am Montag überraschend Abbas' UN-Vorstoß. Ban war zur Eröffnung des König-Abdullah-Zentrums für Interreligiösen Dialog in Wien. Mit Ban sprach Julia Raabe.

 

STANDARD: Hat die jüngste Krise zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen die Chancen für eine politische Lösung des Nahost-Konflikts erhöht oder verschlechtert?

Ban: Sie sollte die Chancen für eine politische Lösung erhöhen. Eine sehr wichtige Lektion ist, dass der Status quo keine Option ist. Wir müssen den Nahost-Friedensprozess wieder in Gang bringen. Ich bin sehr erleichtert, dass sich die Israelis und die Palästinenser auf eine Waffenruhe geeinigt haben. Aber sie kann sehr fragil sein, wenn sie nicht von einem starken politischen Willen beider Seiten begleitet wird. Es werden schon Mechanismen entwickelt, um sie aufrechtzuerhalten. Aber eine Waffenruhe ist nicht das endgültige Ziel. Das (Nahost-)Quartett sollte mehr tun.

STANDARD: Was heißt das konkret?

Ban: Das unmittelbar Wichtigste ist sicherzustellen, dass es keine illegalen Lieferungen von Raketen und Waffen an die Hamas gibt. Und dass es freien Zugang und Bewegungsfreiheit in Gaza gibt.

STANDARD: Das heißt, Sie teilen den Aufruf der Arabischen Liga zu einer vollständigen Aufhebung der Blockade des Gazastreifens?

Ban: Dazu habe ich immer wieder aufgerufen, und darauf arbeiten die UN hin. Die Uno ist dort der größte Arbeitgeber. Bewegungsfreiheit und der freie Verkehr von Gütern sind sehr wichtig.

STANDARD: Die Hamas hat durch die Verhandlungen eine Aufwertung erfahren. Von vielen Staaten, auch von der EU, wird sie als Terrororganisation eingestuft. Wäre es sinnvoll, die Ächtung der Hamas, auch mit Blick auf die humanitäre Lage in Gaza, aufzuheben?

Ban: Das ist eine andere Sache. Sie wird von den beteiligten Ländern entschieden. Das Quartett und die Staatengemeinschaft anerkennen die Palästinensische Behörde von Präsident Abbas als die legitime Führung des palästinensischen Volkes. Die Hamas sollte das internationale Recht und die Charta der Uno voll respektieren.

STANDARD: An diesem Donnerstag will Präsident Abbas die UN-Generalversammlung darum bitten, den Beobachterstatus der Palästinenser aufzuwerten - was eine indirekte Anerkennung als Staat bedeuten würde. Ist das eine gute Idee?

Ban: Das ist eine Entscheidung der Palästinensischen Behörde. Als Generalsekretär kann ich eine Sache, die die Mitgliedstaaten beschließen, nicht kommentieren. Aber es ist wichtig, Präsident Abbas und seiner Behörde volle politische und finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen, damit er mit den Israelis in einen Dialog eintreten und die Zwei-Staaten-Lösung realisiert werden kann. Ein palästinensischer Staat ist seit langem überfällig. Aber er sollte durch einen Verhandlungsprozess zustande kommen.

STANDARD: Zu Syrien: Immer wieder hat es Zwischenfälle an der Grenze zur Türkei gegeben. Wie groß ist die Gefahr einer großen regionalen Krise?

Ban: Wir sind sehr alarmiert über ein mögliches Überschwappen, wie wir es schon in der Türkei und auch im Libanon gesehen haben. Wir müssen eine weitere Eskalation verhindern. Ich fordere alle betroffenen Länder dazu auf, maximale Zurückhaltung zu üben. Ich bin auch extrem besorgt über die humanitäre Lage der intern Vertriebenen und der Flüchtlinge in den Nachbarstaaten. Ich habe die Staatengemeinschaft dazu aufgefordert, großzügige humanitäre Hilfe zu leisten. Aber wir haben nur rund 40 Prozent der Mittel bekommen, die nötig sind.

STANDARD: Kann es eine Zukunft für Syrien mit Präsident Assad geben?

Ban: Die militärische Option ist nicht tragfähig, der Konflikt sollte durch einen politischen Prozess gelöst werden. Präsident Assad sollte sich bewusst machen, dass er zu weit gegangen ist. Wie kann er so weitermachen? Er sollte darauf hören, was sein Volk möchte. Er hätte schon vor langer Zeit viel weiterreichende Reformen vornehmen müssen. Aber auch wenn es spät ist - zu spät ist es noch nicht. Es ist ermutigend, dass sich Oppositionsgruppen zu einer Koalition zusammengeschlossen haben. Gleichzeitig sollten sie noch kohärenter agieren, damit ein politischer Dialog möglich wird.

STANDARD: Sie sind zur Eröffnung des King-Abdullah-Zentrums in Wien. Teilen Sie die Analyse von Rabbi David Rosen, wonach die Beziehung zwischen Islam und Moderne die größte Herausforderung des 21. Jahrhundert ist?

Ban: Wir leben in einer Ära der Intoleranz. Gegenseitige Toleranz zu erhöhen ist der Weg, um Harmonie in einer Gesellschaft und den Frieden auf der ganzen Welt zu fördern. Ich bin daher sehr froh über dieses Zentrum. (DER STANDARD, 27.11.2012)