Karin Pollack.

Foto: Matthias Cremer, Collage: Magdalena Rawicka

Neulich auf dem Spielplatz. Da schaffte es eine Mutter wieder nicht, von der Kletterspinne wegzukommen. Oben hing das Kind, alberte mit den anderen kleinen Affen und überhörte die mahnend-ängstlichen Worte: "Pass auf, halt dich an, Vorsicht, dass du nicht fällst." Die Menschheit hat es deshalb so weit gebracht, weil uns die Natur mit extrem guten Instinkten ausgestattet hat. Kinderjahre sind ein bestens ausgetüfteltes Trainingsprogramm, bestehend aus Lauf-, Kletter- und Zweikampfeinheiten. 

"Kinder-Gefängnisse"

"Würde sich ein Erwachsener so viel bewegen wie ein Kind, wäre er zu Mittag fix und fertig", sagt Hans Holdhaus, Direktor des Instituts für medizinische und sportwissenschaftliche Beratung an der Donau-Universität Krems. Er nennt Gehschulen Kinder-Gefängnisse und mahnt alle Eltern, dass der Grundstein für die Entwicklung von Muskeln, Knochen und Gehirn in den ersten zwei Lebensjahrzehnten festgelegt wird.

Wer sich anstrengt, spürt Dopamin, das wiederum für Glücksgefühle zuständig ist. Das mögen die Nervenzellen und fördert die Konzentration. Und Konzentration braucht es bekanntlich beim Eintritt in die Volksschule. Im sechsten Lebensjahr beginnt "die Zeit des verordneten Sitzens", wie Holdhaus das nennt. Und weil Kinder unkritische Nachahmer sind, wird institutionell der natürlich-lebenswichtige Bewegungsdrang plötzlich als Problem eingestuft. Zappelphilipp-Syndrom, ADHS: Da schreien dann wieder die Kinderpsychiater Alarm.

Immer dicker und kränker

Besorgniserregend ist, dass die Politik sich dieser Verantwortung keineswegs bewusst zu sein scheint. Vor fünf Jahren hat das Unterrichtsministerium die verpflichtende Turnstunde in Schulen reduziert. Während Ministerin Claudia Schmied in ihrer Argumentation in den Dschungel der Schulpolitik abtaucht, werden Österreichs Kinder immer dicker und kränker.

Das wiederum konstatiert auch Gesundheitsminister Alois Stöger, doch mehr als mahnen will auch er nicht. Kein Verantwortlicher will Geld locker machen. In gut eingespielter Manier schieben sich die Ministerien die Verantwortung zu - Finanzministerin und Bundeskanzler haben weiß Gott andere Sorgen. Geldsorgen haben dadurch übrigens auch die Eltern, die - wenn sie verantwortlich sind ("mein Kind soll in der Handballmannschaft und nicht zu Hause siegen und verlieren lernen"), - das selbst finanzieren sollen.

Zum Sport bringen, ein bis zwei Stunden warten und dann wieder nach Hause fahren: Wer schafft das, wenn er oder sie berufstätig ist? Insofern: Bewegung und Turnen gehören in die Schulen. Die Forderung nach der "täglichen Turrnstunde" läuft bereits. Eine Unterschrift ist keine besonders sportliche Leistung. Aber wichtig. Also engagiert euch, Eltern. Jetzt. (Karin Pollack, DER STANDARD, Family, 27.11.2012)