Abkehr ins Innere: "Sharon Lockhard / Noa Eshkol" bewegen sich in Richtung Meditation.

Foto: Sharon Lockhart

Wien - Ein Tanz im Haus der vor fünf Jahren verstorbenen israelischen Choreografin Noa Eshkol überzeugte die US-amerikanische Künstlerin Sharon Lockhart. Eshkol und ihr Archiv in der israelischen Stadt Holon wollte sie thematisieren. Das Ergebnis ist im ehemaligen Atelier Augarten zu sehen, das jetzt von Francesca Habsburgs Stiftung Thyssen-Bornemisza Art Contemporary (TBA21) genutzt wird.

Noa Eshkol wurde 1924 als Tochter von Levi Eshkol geboren, dem künftigen dritten Premierministers von Israel. Mit dem Architekten Abraham Wachman entwickelte sie die sogenannte Eshkol-Wachman-Movement-Notation - ein Schriftsystem, mit dem Bewegungen aufgezeichnet werden können.

Diese konzeptuelle Analyse führte Eshkol zur Choreografie von Tanzstücken, die aber nie eine größere Öffentlichkeit erreichten. Und sie fertigte große Wandteppiche, die an fantastische Landkarten erinnern. Sharon Lockhart verbindet nun Eshkols "gestische" und " geografische" Muster miteinander. Im großen Raum des Augarten Ateliers werden auf große Kästen fünf Videos projiziert, in denen sich Tänzerinnen vor den Wandteppichen bewegen.

Im Kiosk gegenüber hat die Filmerin und Fotografin Lockhart eine Installation mit einer einzigen Projektion eingerichtet. Eine ältere Tänzerin zeigt im Video vier Übungen in der Eshkol-Wachman-Notation. Die Wände und Ausleuchtung des Kiosks sind so perfekt auf das Video abgestimmt, dass Betrachter eine andere Dimension zu betreten glauben.

Bestreikte Politik

Zur Einordnung der Ausstellung hat Kuratorin Daniela Zyman ein umfangreiches Begleitprogramm zusammengestellt. Es gibt öffentliche Proben der Noa Eshkol Chamber Dance Group, Filmvorführungen, Vorträge und morgen, Dienstag, einen Auftritt der Tanzgruppe in der Secession.

Das Projekt Sharon Lockhart / Noa Eshkol präsentiert Körper, die ganz in der Meditation ihres Systems aufgehen und sich aus den Spannungsfeldern der Politik zurückgezogen zu haben scheinen. Als wollten sie diese Politik bestreiken.

Das Gegenteil zeigte am Wochenende die ägyptische Regisseurin Laila Soliman im Tanzquartier Wien mit ihrer eindrucksvollen Doku-Performance No Time for Art 1 & 3 & 0. Erst zwei, dann vier Performer sitzen auf einem Podest vor einer Videoscreen und erzählen konzentriert von traumatisierenden Ereignissen aus den Leben verfolgter Oppositioneller. Dabei spannt sich der Bogen von den letzten Jahren des Mubarak-Regimes über den Aufstand auf dem Tahrir-Platz 2011 bis hin zu den jüngsten Protesten gegen Präsident Mohammed Mursi.

Die nüchternen Schilderungen widerspiegeln das Ausmaß der persönlichen Tragödien junger Menschen aus dem Bekannten- und Verwandtenkreis der Regisseurin. Es sind Berichte von Verhaftung, Erniedrigung und Folter mit extrem hässlichen Details. Sie belegen die Brutalität und den Zynismus des Militärapparat im Kampf gegen Protestierende -im Vorjahr und gerade eben. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 26.11.2012)