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Nimmt ab Montag auf der Anklagebank Platz: Ernst Strasser, 56, soll für Geld Gefälligkeiten in Aussicht gestellt haben.

Foto: APA/Schlager

Es gibt Orte, da ist Ernst Strasser noch willkommen. "Jeder, der in seine Heimatstadt zurückkehrt, ist ein gern gesehener Gast", sagt Helmut Nimmervoll, "auch der Ernst." Der Bäcker- und Altbürgermeister von Grieskirchen in Oberösterreich kennt Strasser, seit er ihm am Schulbuffet Jausenbrote verkauft hat. An einen vifen Burschen aus einer " ordentlichen", weil arbeitsamen und religiösen Bauernfamilie erinnert sich Nimmervoll: "Ich habe mir gedacht, der kommt noch höher hinauf."

Geschafft hat er das tatsächlich, der Strasser Ernst aus dem Hausruckviertel - um dann umso tiefer zu fallen. Statt im Ministerbüro oder Plenarsaal nimmt der 56-Jährige am Montag auf der Anklagebank im Wiener Straflandesgericht Platz. Dorthin gebracht haben ihn von Undercover-Journalisten der Sunday Times gedrehte Videos, auf denen sich der damalige Europa-Abgeordnete der ÖVP als "Lobbyist" gebärdet, der in patschertem Englisch für Geld politische Gefälligkeiten anbietet. Er habe eine Geheimdienstaktion vermutet und aufdecken wollen, verteidigte sich Strasser. Die Staatsanwaltschaft jedoch glaubt an Bestechung.

Linke Vergangenheit

Georg Neuhauser hat "fast Mitleid" bekommen ob der "Blödheit und Präpotenz", die ihn aus dem Fernseher ansprangen. Der Lehrer aus Steyr hat Strasser aus Studentenzeiten in Salzburg ganz anders in Erinnerung - als "loyalen und kritischen Geist, der sicher kein Reaktionär war". Damals, in den Siebzigern, engagierten sich die beiden in der Studentenpartei ÖSU, die sich zum Ärger der Mutterpartei ÖVP sogar mit Kommunisten auf ein Packl haute. An Frauengeschichten erinnert sich Neuhauser kaum, dafür an viel linkskatholischen Idealismus: "Wir wollten eine offenere, gerechtere Gesellschaft. Aber vielleicht war ich nur naiv, und den meisten ging es einfach um die Karriere."

Im Kreis der nicht mit großbürgerlicher Selbstsicherheit gesegneten Bauernsöhne fällt Strasser mit Aufstiegswillen auf. Als "ehrgeizig, umtriebig und wendig in wertfreiem Sinn" beschreibt ihn Josef Gruber, heute Bezirkshauptmann von Wels-Land, als "Zugreifer" Andreas Maislinger, Gründer des Gedenkdienstes. "Er hatte einen Zug zu Strategie" , ergänzt Neuhauser, der später ein Grüner wurde. Aber dass der Inhalt in Strassers Politik dann völlig verkommen sei, habe ihn doch herb enttäuscht: "Der Ernst hat unsere Ideale gehörig verraten."

Ein anderer Studienfreund, Wilhelm Molterer, legt für den Jus-Absolventen und Zivildiener ein gutes Wort beim Direktor des Bauernbundes ein, einem gewissen Josef Riegler. Dem späteren Vizekanzler imponiert, wie sich der junge Strasser vorstellt: "Probieren Sie's mit mir - wenn's nicht passt, schmeißen S' mich raus!" Menschlich wie fachlich habe sich Strasser bewährt, erzählt Riegler, "mit forscher Art" und "Bescheidenheit". Umso größer der Schock über das entlarvende Video: " Meine Frau und ich waren bestürzt." Ob er Strassers Erklärung glaubt? " Natürlich kann das sein. Ich kann aus unserer gemeinsamen Zeit nur das Beste sagen."

Das tun beileibe nicht alle Weggefährten. In der nächsten Station erarbeitet sich Strasser den Ruf des "harten Knochens", der jeden in seiner Reichweite niederbügelt, der "pieps macht" (ein ÖVPler): Nach einem Intermezzo bei einer Baufirma wechselt er 1992 als Parteisekretär nach Niederösterreich. Strasser vermarktet Landeshauptmann Erwin Pröll als coolen "Man in Black", zementiert die absolute Macht - und darf 2000 in die schwarz-blaue Regierung wechseln. Prompt scheint sich Strasser zu bedanken, als er gegen den von Pröll bekämpften Semmeringtunnel im Ministerrat ein (indirektes) Veto einlegt.

Auch sonst stellt sich der Innenminister in den Dienst der höheren Sache. Als die EU-Staaten Österreich mit Sanktionen ächten, gibt Strasser den Liberalen, lässt Anti-Regierungs-Demonstranten gewähren, renoviert die KZ- Gedenkstätte von Mauthausen. Doch als sich die Lage beruhigt, gilt es, der FPÖ rechte Wähler abzuknöpfen - und Strasser macht auf Hardliner. Er selbst hat Politik im Standard einmal als Rollenspiel definiert, das dem "politischen Drehbuch" gehorche. Ein verbliebener Freund beteuert gar, dass Strasser die von ihm exekutierte, harte Ausländerpolitik zu schaffen gemacht habe - was den späteren Abgang beflügelt habe.

Rechte Realität

Von Skrupeln nichts gemerkt haben jene Asylwerber aus dem überfüllten Heim in Traiskirchen, die Strasser vor einer Wahl auf die Straße setzen lässt. Er reibt sich an Flüchtlingsanwälten, beschwert sich bei Bischöfen über den "furchtbaren" Caritas-Präsidenten Franz Küberl. Dieser hat von Strasser so viele Gesichter gesehen, dass er sie gar nicht zählen könne: "Ich habe ihn ruhig und kooperativ erlebt, aber es gab auch Phasen, in denen er nicht einmal mit mir reden wollte." Bis heute fragt sich Küberl, "ob Strasser das Schicksal von Menschen denn jemals bewegt hat. Ich weiß es nicht."

"Menschen waren ihm wurscht", ist sich Max Edelbacher sicher. Wiens legendärer Kripo-Chef zählt zu jenen (roten) Spitzenbeamten, die Strasser ins Aus drängt und durch parteiloyale Köpfe ersetzt; nicht einmal auf Fürbitte des gemeinsamen Friseurs bekommt er einen Termin zur Polizeireform. Der Ex-Ermittler, der nach Kritik ("Management by Chaos") ins Favoritner Kriminalkommissariat abgeschoben wird, verleiht dem Strasser-Video das Prädikat "Egoismus gepaart mit Dummheit".

"Machtfragen sind ihm wichtiger als die Sache", sagt ein anderes Umfärbungsopfer, Ex-Sektionschef Wolf Szymanski. Eine solche beendet auch die Ministerkarriere. Als ihm Kanzler Wolfgang Schüssel ungerührt den Karrieresprung in die EU-Kommission verweigert, zieht Strasser die Reißleine. Mit dem Abgang ohne Vorwarnung zerbricht das Verhältnis zu Mentor Erwin Pröll.

Eine "jämmerliche Geschichte" nennt der Grüne Peter Pilz Strassers Leben danach, "auch, weil er nicht wie andere ÖVP-Leute vom Raiffeisen-Netzwerk aufgefangen wurde". Strasser versucht seine Kontakte als Berater zu vergolden (siehe Seite 4) - ehe ihm Parteichef Josef Pröll 2009 anbietet, Spitzenkandidat für die Europawahl zu werden.

Das Comeback ist eine Versuchung, der Strasser nicht widerstehen kann. Es sollte nicht die Einzige bleiben. (Gerald John, Nina Weißensteiner, DER STANDARD, 24./25.11.2012)