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"Mohammed Morsi Mubarak" steht auf dem Plakat, das einen Verschnitt des jetzigen mit dem früheren Präsidenten Ägyptens zeigt. Am Freitag fanden Großdemos gegen Morsis Beschneidung der Justiz statt. Der Präsident verteidigte seine Entscheidung als "klaren Plan".

Foto: AP/Shemy

Demonstranten in Kairo zündeten das Büro der Muslimbrüder an.

 

Kairo/Wien - Ägyptens Präsident Mohammed Morsi hat das Instrument von seinen Vorgängern abgeschaut, der Militärjunta unter Feldmarschall Tantawi: Mit einer Verfassungserklärung kann man Gegner lahmlegen, die einem in die Suppe spucken wollen. So eine Verfassungserklärung - die damals die Rechte des Präsidenten zugunsten des Militärrats massiv einschränkte - dekretierte Tantawi Mitte Juni, als klar wurde, dass der Muslimbruder Morsi als Präsident nicht zu verhindern war. Die Militärs wollten einen Präsidenten an der Leine.

Wie die Geschichte weiterging, ist bekannt: Zwei Monate später feuerte Morsi den Militärrat und annullierte dessen Verfassungserklärung.

Die ägyptische Justiz wurde in der Auseinandersetzung zwischen Militär und Morsi immer auf der Seite der Militärs stehend wahrgenommen, und das nicht nur von ihm. Seit der Entmachtung Tantawis haben sich beide Seiten, Justiz und Morsi, zurückgehalten. Nun hat Morsi jedoch sein Verfassungsdeklarations-Schwert gezogen und sich und seine Entscheidungen für sakrosankt erklärt: Man könnte es auch einen Verfassungsputsch gegen die Justiz nennen.

Allerdings mit einem zumindest atmosphärischen Unterschied: Morsis Absicht war offenbar, die Verfassungsgebende Versammlung vor der Auflösung durch die Justiz zu schützen, die unmittelbar in der Luft lag. Sie ist in der letzten Phase ihrer Arbeit: Wenn die Verfassung fertig ist, wird sie einem Referendum unterzogen, danach wird gewählt, und dann hat Ägypten wieder ein Parlament. Das islamistisch dominierte Abgeordnetenhaus wurde ja von der Justiz aufgelöst (das ist Teil des Streits, und Morsi hat diese Auflösung letztlich akzeptiert).

Das heißt: Das zukünftige Verhältnis des Präsidenten zur Justiz, dessen Vollmachten und deren Unabhängigkeit werden im Verfassungstext bestimmt - der Morsis jetzige Verfassungsdeklaration in ein paar Wochen ablösen sollte, wenn alles mit rechten Dingen zugeht.

Ein Verfassungsputsch auf Zeit ist trotzdem eine gefährliche - und zu Recht lautstark kritisierte - Sache. Dass Morsi den Generalstaatsanwalt entlässt, ist ein schwerer Verstoß gegen die Immunität - auch wenn dessen Abgang paradoxerweise von den gleichen Demonstranten gefordert wurde, die jetzt gegen die Verfassungsdeklaration protestieren.

Aber das Prinzip muss eben aufrechterhalten werden, auch wenn der Generalstaatsanwalt aus der Zeit Hosni Mubaraks stammt: Da nützt auch das Zuckerl nichts, dass Morsi angeordnet hat, die Antiregimeprozesse wieder aufzurollen. Auch das war eine Forderung von Demonstrationen - welcher der jetzt entlassene Generalstaatsanwalt entgegenstand.

Nicht das leiseste Gefühl für Ästhetik zeigt Morsi, wenn er die ganze Aktion unter dem Titel "Schutz der Revolution" laufen lässt: ein klassischer kontrarevolutionärer Slogan. Wenn, dann schützt er höchstens seine eigene islamische Revolution, denn darum geht es ja: Die Verfassungsversammlung, die Morsi vor der Auflösung bewahrt, wird von allen Sektoren der Gesellschaft, die kein islamisches Programm wollen, abgelehnt. Fast alle Nichtislamisten haben sie mittlerweile verlassen. Und für diese ungeliebte Versammlung bemüht der Präsident ein Verfassungsdekret.

Die große Kontroverse findet also nicht darüber statt, ob die neue Verfassung die Unabhängigkeit der Justiz garantieren wird: Das dürfte der Fall sein. Sondern der Islam ist die Frage. Eine superislamische Verfassung wird es aber dennoch nicht, denn die Salafisten sind mit den meisten ihrer Forderungen abgeblitzt.

Morsi, von Friedensnobelpreisträger und Oppositionspolitiker Mohamed ElBaradei als "neuer Pharao" tituliert, versammelt jetzt tatsächlich alle Gewalten in seiner Hand. Dass er gerade jetzt agiert, wo er sich regionalpolitisch in der Gaza-Krise bewährt hat - eben weil er nicht (nur) als Muslimbruder agiert hat -, kann sich als Fehlkalkulation erweisen: Er mag sich jetzt stark sehen, aber sein Ruf als Pragmatiker ist schnell beschädigt. Und die Gefahr ist natürlich immer da, dass sich ein Präsident, der sich alle Macht nimmt, sie nicht mehr hergeben will. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, 24.11.2012)