Wien - Das Finanzministerium beziffert den durch Umsatzsteuer-Betrüger verursachten Steuerschaden in Österreich auf 87,55 Millionen Euro. Soweit die Zahlen für 2011, in denen 224 Fälle auftraten. Bei diesem sogenannten "Karussellbetrug" wirken mehrere (Schein-)Unternehmen in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten zusammen, wobei einer der Händler der Lieferkette die von seinen Abnehmern bezahlte Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt abführt. Es ist aber nicht klar, wie viele gerichtliche Finanzstrafverfahren es dahingehend in den vergangenen Jahren (2009 bis 2011) tatsächlich gegeben hat.

Flucht und Scheinidentitäten

Das geht aus einer entsprechenden schriftlichen parlamentarischen Anfragebeantwortung des Justizministeriums, also von Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP), hervor. Aus dem Finanzministerium hieß es am Mittwoch, "man kann davon ausgehen, dass es in allen Fällen Verfahren waren, die entweder bei der Finanz oder am Gericht abliefen". Man müsse aber bedenken, "dass nicht alle Täter greifbar sind, sie sind in vielen Fällen flüchtig, arbeiten zum Teil mit falschen Identitäten"

Aufgrund der Schadenshöhen, sei davon auszugehen, dass (wenn die Täter greifbar sind, Anm.) alle Fälle bei Gericht landeten. Vor das Gericht kommt der Fall ab einem Schaden von 100.000 Euro - es laufen also große illegale Geschäfte in Sachen Karussellbetrug.

Lücke im System

"Es ist nicht unmöglich diese Art des Betruges auszuschalten", sagte der Beamte des Finanzministeriums. "Aber rein durch organisatorische und personelle Maßnahmen ist das sehr schwer. Das Mehrwertsteuersystem ist hier anfällig, hat eine Schwäche."

Die Schwäche entstehe, "weil der Vorsteuerabzug unabhängig davon zu gewähren ist, ob der Vorunternehmer die Umsatzsteuer gezahlt hat oder auch nicht". Einer zahle die Umsatzsteuer nicht, der andere wolle die Vorsteuer zurück - "und dabei ist die Beweisfrage oft nicht eindeutig klärbar".

Beispielsweise müsse in manch EU-Staat eine Versicherung gegen Umsatzsteuer-Ausfälle abgeschlossen werden. In Österreich gebe es die "Reverse-Charge" (Umkehr der Steuerschuld), die den Betrug eigentlich "ausschließt". Jedenfalls werde in der EU an Lösungen gearbeitet, ein "rascher Reaktionsmechanismus" - vor allem im Hinblick auf Häufungen von Mehrwertsteuerbetrug in einzelnen Ländern - ist geplant. "Auf Dauer wird es nötig, neue Systeme - die natürlich Geld kosten - einzuführen", erklärte der Finanzer. Beispielsweise könne die Reverse Charge flächendeckend eingeführt werden - "damit alle Lieferungen bzw. Leistungen ihr unterliegen. Oder man teilt die Zahlung so auf, dass die Umsatzsteuer nicht an Lieferanten gezahlt wird, sondern über andere Wege direkt ans Finanzamt."

Dokumentation mit Lücken

Laut der Anfragebeantwortung des Justizministeriums wird "diese Sonderform der Finanzvergehen in den elektronischen Verfahrensregistern nicht gesondert erfasst, sodass deren statistische Auswertung automationsunterstützt nicht möglich ist". Daher konnte die Frage offenbar nicht beantwortet werden, wie viele gerichtliche Finanzstrafverfahren in den vergangenen Jahren in Sachen Ketten- und Karussellgeschäfte konkret durchgeführt wurden.

"Gesonderte Statistiken über Ketten- und Karussellgeschäfte werden vom Bundesministerium für Justiz nicht geführt".

Von einer händischen Auswertung aller Akten der Gerichte und Staatsanwaltschaften "musste im Hinblick auf den damit verbundenen unvertretbar hohen Aufwand abgesehen werden, wofür ich um Verständnis bitte", so Karl.

Eine Frage des Aufwandes

In der Beantwortung der von SP-Abgeordneten Johann Maier gestellten Anfrage heißt es weiter, "ein Auslandsbezug ist bei Umsatzsteuerkarussellen wesenstypisch, weil sie regelmäßig den Umstand ausnützen, dass Lieferungen in andere Staaten umsatzsteuerfrei sind". Aber "Statistiken werden weder über die Zahl von Fällen mit Auslandsbezug noch über die Zahl von Rechnungen an Scheinfirmen im Ausland geführt".

Die Zusammenarbeit mit den Justizbehörden der anderen EU-Mitgliedsstaaten "gestaltet sich - abgesehen von dem oft besonders großen Umfang und der erheblichen Komplexität derartiger Verfahren - im Wesentlichen problemlos", heißt es in der Anfragebeantwortung. Die Zahl der Fälle in denen über Rechtshilfe zusammengearbeitet wurde, sei aber ebenso wegen des "unverhältnismäßigen Aufwand einer händischen Nachschau in den Akten aller Gerichte und Staatsanwaltschaften nicht feststellbar". (APA, 22.11.2012)