Wien - Für ein Projekt zur Neudefinition von Alter und bessere Methoden zur Vorhersage der Lebenserwartung erhält der Wiener Demograph Sergei Scherbov einen hoch dotierten Förderpreis des Europäischen Forschungsrates (ERC). Scherbov, der am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien, am Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem Wittgenstein Centre for Demography and Human Capital in Wien arbeitet, wird mit einem mit 2,25 Millionen Euro dotierten "Advanced Grant" ausgezeichnet, teilte das IIASA in einer Aussendung mit. 

Der Preis ist bereits die sechste ERC-Auszeichnung für das Wittgenstein Centre for Demography and Human Capital, in dem IIASA, das Demographie-Institut der ÖAW und die Wirtschaftsuniversität Wien (WU) kooperieren. Die "Advanced Grants" stellen das "Flaggschiff-Programm" des ERC dar, mit dem die EU Grundlagenforschung fördert. Damit sollen anspruchsvolle und risikoreiche fünfjährige Forschungsprojekte gefördert und die Wissenschafter ermutigt werden, die bestehenden Grenzen des Wissens und der Disziplinen zu überschreiten.

Der neuen Realität gerecht werden

Scherbov plädiert für eine Neudefinition von Altersangaben: "Wir sollten nicht jemanden, der 60 oder 65 Jahre alt ist, als ältere Person bezeichnen", so Scherbov, "denn die Menschen sind heute viel gesünder und 'jünger' als die Menschen gleichen Alters in früheren Generationen." Während in Europa und anderen entwickelten Regionen die Lebenserwartung signifikant steigt, bleiben die Menschen gleichzeitig länger gesund.

Dagegen hätten sich die traditionellen Messgrößen für Alter nicht geändert. Aus diesem Grund würde ein wachsender Anteil der Bevölkerung als alt kategorisiert, nur weil sie das "magische Alter von 65 erreicht haben". Diese etwas willkürliche Messung habe bedeutende Auswirkungen auf Pensions- und Gesundheitssysteme und den Arbeitsmarkt, schreiben die Wissenschafter.

"Prospektives Alter"

Im Rahmen des ERC-Projekts will Scherbov neue Methoden zur Altersmessung entwickeln, die die Realität berücksichtigen. Erstmals sollen dabei Faktoren wie Lebenserwartung, Gesundheit, Behinderung, kognitive Fähigkeiten und Arbeitsfähigkeit einfließen. Diese würden zeigen, wie die Menschen tatsächlich leben und was sie benötigen.

Die Forscher schlagen etwa ein neues Messsystem, das sogenannte "prospektive Alter", vor, mit dem sie das Pferd vom Schwanz her aufzäumen: "Wir messen das Alter nicht als Jahre seit der Geburt, sondern als Distanz bis zum erwarteten Tod", so Scherbov. Wenn also die Lebenserwartung steigt, werden die Leute bei gleichem chronologischem Alter so gesehen jünger. Bei dieser Methode würde die Schwelle für "alt" bei noch 15 Jahren Lebenserwartung ansetzen.

Zudem wollen die Wissenschafter bessere Methoden zur Vorhersage der Lebenserwartung in der Zukunft entwickeln. Die Experten sind sich uneins, ob es ein natürliches Maximum für die Lebenserwartung gibt, oder diese unbegrenzt steigen kann. (APA/red, derStandard.at, 21. 11. 2012)