Ökomusterregion Güssing - nicht jeder ist mit dem Erreichten zufrieden.

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Klimaschutz fängt im Kleinen an, lautet das Motto, dem sich österreichweit immer mehr Gemeinden und Regionen anhängen, um ihre Energieversorgung unabhängig zu gestalten. Lässt sich damit wirklich die Umwelt schonen und rechnet es sich für die Regionen?

Masterplan: Gas und Öl den Rücken kehren

Bis 2050 sollen die Industrieländer ihre Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 senken. Möglich werden soll dies durch Energieunabhängigkeit der einzelnen Länder. Heißt konkret: Raus aus der fossilen Energieversorgung, hin zur nachhaltigen, erneuerbaren Energie.

Damit dieses Ziel erreicht werden kann, muss ein Umdenken in den Gemeinden einsetzen. Um den Regionen finanziell unter die Arme zu greifen, wurde bereits 2007 der Klima- und Energiefonds gegründet. Mit den Fördergeldern sollen Projekte unterstützt werden, die einen wesentlichen Beitrag für eine umweltfreundlichere und energieschonende Zukunft bringen. Außerdem wird in Forschung und Entwicklung investiert. Seit 2007 erhielten mehr als 38.000 Klimaschutzprojekte eine Finanzspritze von insgesamt 600 Millionen Euro. Heute gibt es in Österreich 83 sogenannte "Klima- und Modellregionen", an denen 873 Gemeinden beteiligt sind.

Güssing: Harte Kritik für den Pionier

Vorreiter in Sachen erneuerbarer Energie ist die Ökoregion Güssing. Der südburgenländischen Bezirkshauptstadt Güssing gelang es 2001 als Erste, den gesamten Bezirk durch einheimische, nachwachsende und damit erneuerbare Energie zu versorgen. Dafür wurde bereits 1990 ein Modell ausgearbeitet, das den 100-prozentigen Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung vorsah. Als erste Maßnahme wurde in Fassaden und Fenster der öffentlichen Gebäude investiert. Dadurch konnten die Ausgaben für Energie beinahe um die Hälfte reduziert werden.

In weiterer Folge wurden Demonstrationsanlagen zur Energieerzeugung, wie eine Biodieselanlage auf Basis von Rapsöl errichtet, zwei Biomasse-Nahwärmenetze in den Ortsteilen von Güssing installiert und die Stadt mit Fernwärme aus Holz versorgt. Energie-Autarkie gelang schließlich 2001 mit dem Bau des Biomasse-Kraftwerks. Heute gilt Güssing als nationales und internationales Vorbild für viele Gemeinden und Regionen in Österreich. Sogar die steirische Eiche Arnold Schwarzenegger hat der Kleinstadt Anfang des Jahres einen Besuch abgestattet, um sich von der "Güssinger Energie" zu überzeugen.

Weit weniger positiv sieht Journalist und Sachbuchautor Markus Groll die Pionierarbeit von Güssing. In seinem Buch "Die 50 größten Energiesparlügen" hat er die Ökostadt genauer unter die Lupe genommen. Sein Urteil fällt hart aus: Güssing ist nicht weniger von Fremdenergie abhängig, wie andere Gemeinden in Österreich. "Der Selbstversorgungsgrad in Sachen Energie beträgt seit Konkurs der Biodiesel-Erzeugungsanlage gerade einmal 51 Prozent", so Groll. Auch der CO2-Ausstoß entspreche nicht den Erwartungen und sei mit rund 25.000 Tonnen im Jahr genauso hoch wie vor fünf Jahren. Und der Konkurs der Solarzellenfirma Blue Chip Energy Güssing war 2011 eine der größten Pleiten österreichweit.

Trotz aller Kritik, für die strukturschwache Region brachte die Umstellung auf erneuerbare Energie einen Aufwind. Betriebe siedelten sich an, Arbeitsplätze wurden geschaffen, ein Forschungszentrum wurde errichtet und Experten aus aller Welt pilgern noch heute nach Güssing, um sich die Vorzeigestadt in Sachen erneuerbarer Energie anzusehen.

Unter dem Schatten des Vorreiters

Durch die nationale und internationale Aufmerksamkeit die Güssing zuteil wird, wird der Erfolg anderer Modellregionen oft unter den Teppich gekehrt. So produziert das steirische Mureck mit seinem Biomassekraftwerk mehr Energie als es verbraucht. Oder das oberösterreichische Eferding, wo Regionalentwicklung seit dem Jahr 2000 ein Thema ist. Eferding setzt nicht wie andere Modellregionen auf neue Formen zur Energiegewinnung, sondern will jeden einzelnen Bürger zum Energiesparen bewegen. Umgesetzt wurde in den letzten Jahren schon einiges: Monatliche Energiespartipps, Aktionen in Schulen und Kindergärten und Filmvorführungen sollen das Bewusstsein der Menschen für das Energiesparen wecken. Ein eigens gegründeter Energie-Arbeitskreis vernetzt die 13 Gemeinden der Modellregion miteinander. Bis 2020 will Eferding Energie-Autarkie erreichen.

Aufwind durch grüne Energie

Eine aktuelle Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) bescheinigt allen 83 Modellregionen eine positive Entwicklung. "Energieeffizienzmaßnahmen und die Forcierung erneuerbarer Energien, wie in den Klima- und Energiemodellregionen geplant, tragen zur Transformation des Energiesystems bei und haben positive ökonomische Effekte", erklärt Claudia Kettner vom WIFO.

Die Studie zeigt, dass Investitionen in Energieeffizienz Betriebskosten einsparen können und positive Effekte auf das Bruttoinlandsprodukt und die Beschäftigung haben. "Es ist gut zu sehen, dass die Maßnahmen in unseren Modellregionen greifen werden. Für uns bedeutet das, nun vor allem die nationale und internationale Vernetzung zu fördern", meint Ingmar Höbarth, Geschäftsführer des Klima- und Energiefonds Österreich.

Finanzierungsplan fehlt

Derzeit deckt Österreich rund 30 Prozent des Energiebedarfs mittels erneuerbarer Energien. Laut Bericht des Energieinstituts der Wirtschaft kann Österreich 2050 energieautark sein. Es wird jedoch nicht angeführt, mit welchen Energieträgern und Technologien das Ziel erreicht werden kann. Fest steht, wenn Österreich den Weg in eine energieautarke Zukunft schaffen will, müssen nahezu 100 Prozent der verfügbaren Ressourcen an Biomasse, Sonnen-, Wasser- und Windkraft ausgeschöpft werden. Mit welchem Aufwand und welchen Kosten das verbunden ist, weiß bislang jedoch niemand so genau.  (Natascha Marakovits, derStandard.at, 29.11.2012)