Im Limfjord...

Foto: Georg Desrues

...und in der Mündung des britischen Fal River werden die wilden Europäischen Austern unter strengen Auflagen gefischt.

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Foto: Corbis/Macduff Everton

Die kleinen Schleppnetze dürfen ausschließlich von Segelbooten gezogen werden - bei Windstille muss gerudert werden: überlieferte Methoden, die den Bestand sichern.

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Im Biss sind sie von geradezu knackiger Fleischigkeit, sie schmecken intensiv nach Meer und ganz zart nach Haselnüssen.

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Wenn der Berufsfischer Timmy Vinnecombe Austern fischen geht, macht er die Leinen los und setzt die Segel - ja: die Segel. "Andere Boote als Segelboote sind zum Austernfangen in der Flussmündung nicht zugelassen", sagt Vinnicombe. Sein Heimathafen ist das idyllische Städtchen Falmouth in der Grafschaft Cornwall, am südwestlichsten Zipfel Englands. Und sein Fanggebiet ist die Mündung des Flusses Fal, die wohl einzige Gegend der Welt, wo noch mit Segelschiffen wilde Austern gefischt werden, und das mit Schleppnetzen, die von den Booten und allein mit der Kraft des Windes gezogen werden. Vor wenigen Wochen hat die Fangsaison begonnen, es ist ein milder und sonniger Herbsttag, draußen im Ästuar bläht ein nur zarter Westwind die charakteristischen roten Segel der Austernfischerboote.

Und was ist, wenn gar kein Wind weht? "Dann müssen wir rudern und die Netze mit den Beibooten ziehen", sagt Vinnecombe und zuckt mit den Achseln. Dass die Netze dem Boden etwas anhaben könnten, bestreitet er. "Seit 400 Jahren wird hier genauso gefischt, wie wir das heute tun, der Boden in den Austernbänken ist wie ein Feld, das seit Jahrhunderten gepflügt wird." Genau wie seine Vorgänger fischt Vinnecombe Austern der Gattung Ostrea edulis, auch Europäische Auster genannt. "Es sind die besten Austern der Welt, die Austern Casanovas", sagt er und steuert sein mehr als hundertjähriges hölzernes Segelschiff aus dem Hafen hinaus.

Rundere und flachere Form

Tatsächlich erzählt man sich von Giacomo Casanova gerne, dass er, um seine unermüdlichen Qualitäten als Liebhaber instand zu halten, täglich fünfzig Austern verschlang. Viel zu oft verschwiegen wird dabei, dass es sich bei den Schalentieren, die der unermüdliche Galan im 18. Jahrhundert schlürfte, mit Sicherheit nicht um die heute handelsübliche Austernart handelte. Die nämlich wurde erst viel später aus dem Pazifik eingeführt und kam zu Lebzeiten Casanovas in Europa gar nicht vor.

Was des Venezianers legendäre Begierde nährte, müssen demnach Austern der ursprünglich in Europa heimischen Gattung gewesen sein, die Vinnecombe bis heute fischt. Diese unterscheidet sich von der inzwischen weitverbreiteten Pazifischen Felsenauster (Crassostrea gigas) vor allem durch ihre rundere und flachere Form, durch einen intensiveren und zugleich salzärmeren Geschmack und dadurch, dass sie anders beziehungsweise gar nicht gezüchtet wird. Zudem ist sie um einiges empfindlicher und braucht auch länger, um zu wachsen. Während die Pazifische Auster - ausgehend von Frankreich, jenem Land, wo man sie zuerst züchtete - in den letzten Jahrzehnten alle Austernbars des Kontinents eroberte und sich in Folge auch im Meer entlang des Atlantiks und bis hinauf in die Nordsee verbreitete, kommt die echte Europäische Auster immer seltener und in nur noch wenigen Küstengebieten vor.

Extrem saubere Gewässer als Voraussetzung

Darunter etwa in besagter Mündung des Flusses Fal, aber auch in jener des Belon in der Bretagne, wo sie nicht nur gefangen, sondern auch gezüchtet werden, sowie im weitläufigen Limfjord, im Nordwesten Dänemarks. "Im 19. Jahrhundert fand man die Austern noch überall an der englischen Küste, sie galten als Armeleuteessen, es gab Unmengen davon, jeder konnte sie herausholen und mit nach Hause nehmen", erzählt Vinnecombe. Im 20. Jahrhundert aber kam es zu Überfischung und Umweltverschmutzung, die Europäischen Austern, die nur in extrem sauberen Gewässern gedeihen, verschwanden zusehends - und mit ihnen die Berufsfischer, von denen es heute in Falmouth und somit in Großbritannien nur mehr 20 Vertreter gibt. "Inzwischen haben sich die Bestände wieder etwas erholt, weil die Fischerei ganz genau geregelt wird, die Fangquoten sehr niedrig sind und die Fangzeiten stark eingeschränkt. Wenn man die Schlechtwettertage einrechnet, gab es letztes Jahr gerade einmal 50 Tage, an denen wir fischen konnten, und selbst an denen laut Gesetz nur von neun Uhr früh bis drei Uhr nachmittags", sagt Vinnicombe.

Die Austern im Noma

Neuerdings aber haben die wilden Austern überall in Europa wieder starken Aufwind - und das gleich aus mehreren Gründen. Zum einen, weil sie als wildwachsende und weitgehend unbehandelte Meeresfrüchte dem Zeitgeist entsprechen und eine willkommene Alternative bilden für Köche, die verstärkt nach naturnahen, lokalen und ausgefalleneren Lebensmitteln verlangen. Und zum anderen, weil sie immun sind gegen ein Virus, das seit einigen Jahren die aus dem Pazifik stammenden Zuchtaustern befällt, deren Bestände dezimiert und ihren Preis in die Höhe treibt.

Und dann ist da noch ihr Geschmack. "Unsere Austern sind die besten der Welt", sagt auch Svend Bonde, "kein Wunder, dass alle Köche in ganz Skandinavien verrückt nach ihnen sind." Sein Selbstvertrauen bezieht Bonde, der einen bescheidenen Fischereibetrieb am dänischen Limfjord führt, wohl daher, dass er René Redzepi zu seinen Kunden zählt. Und vom Besitzer des Kopenhagener Restaurants Noma, das vielen Restaurantkritikern als das beste der Welt gilt, offenbar anzunehmen ist, dass er nur mit den besten Produkten der Welt arbeitet. Weltbeste oder nicht: Geschmacklich jedenfalls können Bondes Austern tatsächlich sehr viel.

Fleischiger, knackiger Biss

Sie haben einen fleischigen, direkt knackigen Biss, schmecken intensiv nach Meer und leicht nach Haselnüssen. "Das kalte Wasser macht sie so besonders", sagt der Fischer und bricht geschickt eine nach der anderen auf, "wir sind das nördlichste Gebiet Europas, in dem Austern leben können. Durch die niedrigen Temperaturen wachsen sie zwar noch langsamer, entwickeln aber gleichzeitig mehr Geschmack." Doch könnten die kühlen Temperaturen auch zum Problem werden, dann nämlich, wenn diese in manchen Jahren so tief sinken, dass die Schalentiere auf dem Meeresgrund erfrieren oder sich einfach nicht fortpflanzen.

Gefischt wird im Limfjord ebenfalls mit Schleppnetzen, nur werden diese hier nicht von Segelbooten, sondern von kleinen Kuttern gezogen. "Nein, auf den Meeresboden hat das keinerlei negative Auswirkungen", versichert auch der dänische Fischer, "die Austern leben im sandigen und schlammigen Boden, da wird nichts zerstört oder aufgerissen, dafür sorgen hier schon die Behörden." Und diese prüfen tatsächlich sehr genau. So muss sich etwa jeder Skipper eine Stunde vor seiner Rückkehr in den Hafen bei ihnen melden, damit sie ihn erwarten und überprüfen können, ob er seine exakt begrenzten Fangmengen auch ja einhält.

Ob nun die dänischen oder die englischen Austern die besten der Welt sind, ist schwer zu sagen. Nachhaltig gefangen werden sie da wie dort. Und geschmacklich sind sie beide hervorragend - so hervorragend, dass es danach ziemlich schwerfällt, zur gemeinen Zuchtauster zurückzukehren. (Georg Desrues, Rondo, DER STANDARD, 23.11.2012)