Das modulare Stadt- und Landschaftsmöbel "polpo" des Münchner Labels "pezzo per pezzo" ist schon wegen seines Gewichts absolut diebstahlsicher.

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Geschmäht für seinen brachialen Einsatz für Staudämme, Tiefgaragen, Wohnsilos, machte spätestens der Architekt Tadao Ando in den 1990ern den künstlichen Stein salonfähig. Denn er ist robust, günstig und formbar. Designer und Künstler entdecken das Material wegen seiner Vielseitigkeit völlig neu. Dazu bietet der "neue" Beton verblüffende, optische wie haptisch-sinnliche Erfahrungswerte. Nicht nur Puristen staunen, wie fein und leicht die graue Masse plötzlich daherkommen kann. Oder auch farbig, mit samtig sandgestrahlter Oberfläche, glatt oder porös, geprägt, durchsichtig, hauchdünn oder massiv, genäht oder gegossen, für drinnen oder draußen, kurz: in beinah unüberschaubarer Formenvielfalt - der Baustoff lässt sich in die ausgefallensten Formen gießen, daneben verleihen ihm Zuschlagstoffe wie Farbpigmente, Naturkiesel, Metall- oder Glasgranulate eine Seele und Stil.

Schwergewichtige Bettstatt

Beton inspiriert die Gestalter zu Tischen, Badewannen und Küchen, zu Kerzenleuchtern und Eierbechern, zu Uhren, Stiftablagen und Schalen, zu Perlenketten und Pendelleuchten. Sogar Manschettenknöpfe oder Betonschiffe gibt es. Sand, Zement, Wasser, eine Form - und kühne Ideen, das sind die wichtigsten Zutaten.

Ein eigenes Label für Betondesign haben zum Beispiel die beiden Münchner Architekten und Designer Andreas B. Maier und Josef Gose mit "pezzo per pezzo" gegründet. Mit der Wellness-Liege "branda" ist ihnen dabei ein besonderer Coup gelungen: Trotz des hohen Gewichts scheint das Modell gleichsam zu schweben. Diesen Effekt bewirkt eine zweite Schale, welche die Linien der Liegefläche optisch nachahmt und gleichzeitig stützt. Für ihr Modell "letto" interpretierten die beiden das bisher niedlich besetzte Himmelbett neu und kombinierten dabei so gegensätzliche Elemente wie eine Betonschale und ein textiles Sonnenschutzsegel. Durchwegs fließende Silhouetten bestimmen das Modulmöbel "polpo", das an die organischen Formen einer Krake mit ihren Tentakeln erinnert und als Bank einsetzbar ist.

"Ihr Gewicht ist sozusagen eine eingebaute Diebstahlsicherung für den Außenbereich", kommentiert Maier die serienmäßigen Entwürfe aus selbstverdichtendem Hochleistungsbeton. Abgesehen von manchmal aufwändig zu fertigenden Gussformen sieht er bezüglich Herstellung keinerlei Probleme. "Mit seiner eigenen Schreinerei kann uns das Betonwerk Stangl jede Form herstellen", freut er sich. "Geliefert wird dann per Lkw-Kran, und der Untergrund für das Möbel sollte entsprechend belastbar sein", empfiehlt Maier. Den "natürlichen" Lebensraum von Mörtel-Machwerk "polpo" sieht er übrigens im öffentlichen Raum, "in Spas, Cafés und Clubs, in Bädern und am Strand". Rund 3000 Euro müssen Interessenten für das Pulpo-Grundmodell hinlegen, günstiger kommt Liege "branda" mit rund 2000 Euro.

Betont angesagt

Auf das neue Material kamen die beiden Gestalter durch eine Ausstellung in Feldkirch - auf die ein Wettbewerb, weitere Ausstellungen in Wien und Liechtenstein folgten sowie ein Anerkennungspreis des (österreichischen) International Furniture Design Award. "Wir haben schnell festgestellt, dass Beton ein guter Werkstoff für Möbel ist und dass hier Nachfrage nach gutem Design besteht. Die Resonanz und das Angebot hat uns dabei sehr imponiert", erzählt der Münchner.

Ähnlich fasziniert vom künstlichen Stein zeigt sich Andreas Keel aus Innsbruck mit seinem Label "Dade Design". Der gebürtige Schweizer, im früheren Leben Spitzenbanker, wollte als Kind eigentlich Polier werden. Für seine Beton-Badewannen und Küchen hat er sogar eine eigene Beschichtung entwickelt, die Optik und Haptik nicht beeinträchtigen soll.

Circa 6500 Euro kostet die "absolut porenlose" Wanne namens "Wave", ein monumentales Statement futuristischer Ästhetik. "Wir verwenden nur handgemischten Hochleistungsbeton, der auf Druck viermal härter und beständiger ist als normaler Beton", erläutert er. "Auch unsere Werk-Küchen stellen wir in reiner Handarbeit her, hier sind wir längst im Millimeter-Bereich angekommen. Das Echo auf unsere Modelle ist riesig." Wer das alles kauft? "Design-Freaks und Beton-Fetischisten, aber auch die gehobene Klasse", sagt Keel.

Den Imagewandel vom Stiefkind zum Aufsteiger in der Designszene hat das Alleskönnermaterial also bereits erfolgreich vollzogen. Dabei wussten schon unsere Altvorderen die graue Materie zu schätzen: Bereits im Altertum setzten die Römer Gussmauerwerk für den 43 Meter breiten Kuppelbau des Pantheons in Rom ein. Das Mörtelgemisch, eine Materie mit Vergangenheit - und großartigen Zukunftsaussichten. (Franziska Horn, Rondo, DER STANDARD, 23.11.2012)