Dass Forscher auf die Straße gehen und protestieren, kommt nicht allzu oft vor - und war bisher eher auf kleine Initiativen beschränkt gewesen. Die europäische Petition "No Cuts on Research" ("Keine Kürzungen bei der Forschung") erhielt in den vergangenen Tage rekordverdächtige 140.000 Unterschriften. Die wiederum folgten auf einen von 50 Nobelpreisträgern und Fields-Medaillen-Gewinnern unterschriebenen offenen Brief, den auch der STANDARD als einzige österreichische Tageszeitung abdruckte.
Angesichts der nur selten protestierenden Scientific Community sei das als großer Erfolg zu werten, sagt die österreichische Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny, Präsidentin des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC), der auf europäischer Ebene exzellente Grundlagenforschung fördert: "Dass wir dann kurzfristig einberaumte Termine bei den Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rates, und der Europäischen Kommission bekommen haben, zeigt, dass wir ernst genommen werden."
Ob sich der Einsatz der Forscher und der Wissenschafterdelegation, der neben Nowotny unter anderem auch die Nobelpreisträger Tim Hunt und Jules Hoffmann bei den EU-Budgetverhandlungen dieser Tage gelohnt haben wird? " Die drei EU-Toppolitiker, die wir vergangenen Donnerstag getroffen haben, waren sehr erfreut über unsere Initiative", berichtet Nowotny, " nicht zuletzt, weil sie ihnen selbst entgegenkommt."
José Manuel Barroso (Kommissionspräsident), Herman Van Rompuy (Ratspräsident) und Martin Schulz (Parlamentspräsident) hätten aber sehr unterschiedliche Stimmungen vermittelt, so Nowotny. Martin Schulz habe sich kämpferisch gegeben: "Er tweetete sofort ein Bild der Unterschriften der Petition, als wir wieder draußen waren." Van Rompuy habe der Wissenschafterdelegation seinen Budgetvorschlag erklärt, der für das Forschungsbudget sehr günstiger ist. "Aber er wies in seiner trocken-nüchternen Art auf die verbleibenden Hindernisse hin."
Barrosos tiefschwarzer Pessimismus
Barroso hingegen habe tiefschwarzen Pessimismus vermittelt, was womöglich auch daran lag, dass er kurz zuvor mit dem britischen Nein konfrontiert worden war.
Im Idealfall wird der ERC das im Kommissionsvorschlag vorgesehene Budget von 13,5 Mrd. Euro über die Jahre 2014 bis 2020 im Rahmen von Horizon 2020 erhalten und die Aktivitäten in der Art fortsetzen können, wie er es in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich getan hat. Große Sprünge wird es freilich dabei nicht geben.
"Im Augenblick sei es aber unwahrscheinlich, dass dieser Idealfall eintritt", sagt Nowotny. Mit anderen Worten: Der ERC wird bei seinen Förderungen zurückstecken müssen. Was das bedeutet, hat Nowotny bei der Pressekonferenz im Europäischen Parlament skizziert, indem sie die Situation mit einem Flugzeug bei der Take-off-Phase verglich.
"Wenn man in dieser kritischen Situation den Kerosinzufluss unterbindet, dann stürzt die Maschine ab. Die europäische Wissenschaft befindet sich gerade in dieser Take-off-Phase", so Nowotny nicht allzu optimistisch. " Gut möglich, dass sie abstürzt." (tasch, DER STANDARD, 21.11.2012)