Es ist nicht immer leicht, Patienten durch das komplexe und bürokratische Dickicht unseres Gesundheitssystems zu lotsen. Hilfen von außen gibt es dabei nicht viele. Und meist ist es die Ärzteschaft, die hier als erster Ansprechpartner dient - nicht nur bei rein medizinischen Fragen, sondern allzu oft auch hinsichtlich familiärer, beruflicher und sozialer Probleme. Wenn man sich die Sorgen der Menschen anhört, egal, ob im Spital oder in der Ordination, dann ist es auch legitim, auf Schwachstellen im System hinzuweisen - vor allem aufgrund der Tatsache, dass kranke Menschen ihre Anliegen nicht immer leicht artikulieren können.

Die Ärzteschaft und ihre Standesvertretung haben diese Aufgaben in den letzten Jahren vermehrt übernehmen müssen, weil Gesundheitsbürokraten (und leider auch in zunehmendem Maße ideologisierende Patientenanwälte) diese nicht mehr wahrnehmen. Das ist bedenklich, denn eigentlich sollte die Politik ihr Ohr am Bürger haben (und nicht nur Machtinteressen verfolgen), und auch Patientenanwälte sollten sich eigentlich für Verbesserungen im Gesundheitssystem einsetzen (und nicht den verlängerten Arm der Politik spielen).

"Auch an niedergelassenen Ärzten fehlt es hierzulande nicht", schrieb etwa die Wiener Pflege- und Patientenanwältin Sigrid Pilz gestern an dieser Stelle. Weiß sie denn nichts von überfüllten Wartezimmern, weil es zu wenige Ärzteplanstellen gibt? Weiß sie denn nicht, dass es in Wien beispielsweise keine einzige kinderpsychiatrische Kassenordination gibt?

Und auch die Schwierigkeiten, in bestimmten ländlichen Regionen überhaupt noch Ärztinnen und Ärzte zu finden, die bereit sind, unter den in Österreich vorherrschenden Rahmenbedingungen überhaupt eine Ordination zu übernehmen, scheinen ihr unbekannt zu sein. Wo und bitte wie vertritt dann die Anwältin der Patienten deren Interessen? Indem sie in politischem Gehorsam alles schönredet und sich zufrieden zurücklehnt?

Auf Kosten der Patienten

Heutzutage wird eine Organisation wie die Ärztekammer, wenn sie Mitsprache der Betroffenen und eine Bürgerbeteiligung verlangt und davor warnt, dass eine Reform, die am Patienten spart, so nicht in Ordnung ist, als "Betonierer" dargestellt. Und manche Lokalpolitiker fordern gleich die Abschaffung dieser Einrichtung, die es wagt, öffentlich Reformen zu hinterfragen.

Ja, wir hinterfragen Sinn und Zweck einer Reform, die nur darauf abzielt, auf Kosten unserer Patienten Einsparungspotenziale - sprich Rationierungen im medizinischen Bereich - auszuloten. Und diese Einsparungen werden beide Bereiche treffen, sowohl den Spitalsbereich als auch den niedergelassenen Bereich.

In Wien wird zwar kein Spital ersatzlos zugesperrt, und die geplanten Bettenverlagerungen in bevölkerungsreiche Bezirke machen Sinn - weswegen die Ärztekammer diesen Plänen der Gemeinde auch zugestimmt hat. Trotzdem kommt es auch in der Bundeshauptstadt zu einer Minimierung des Angebots für Patienten, da einige Ambulanzen geschlossen werden sollen, ohne dass man parallel dazu das Leistungsangebot im niedergelassenen Bereich erweitert.

Weniger ist mehr?

Wenn Sigrid Pilz nun meint, es gäbe sowieso genug niedergelassene Ärztinnen und Ärzte in Wien, dann kann man das nur der Unerfahrenheit in ihrem neuen Amt zuschreiben. Ich habe jedenfalls noch nie gehört, dass sich Patientenvertreter gegen die Ausweitung eines Angebots stellen und so für die Patienten noch längere Wartezeiten in Ambulanzen und Ordinationen provozieren.

Wenn Pilz bewusst in Kauf nimmt, dass sowohl Spitalsärzte als auch die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen oft bis zum persönlichen Burn-out arbeiten, nur um einigermaßen den Patientenströmen Herr zu werden, dann hilft sie zwar den Funktionären in der Wiener Gebietskrankenkasse, deren Finanzziele zu erreichen, die medizinische Versorgung wird dadurch aber schlechter. Weniger Ärztinnen und Ärzte können nun einmal keine bessere Versorgung anbieten.

Die Konsequenz ist klar: Patienten, die es sich leisten können, werden andere Versorgungsformen, zum Beispiel Wahlärzte oder Privatkrankenanstalten, wählen. Willkommen in der Zwei-Klassen-Medizin! Scheinbar ist die Ärztekammer die einzige Institution in diesem Lande, die eine soziale Position beibehält und eine konjunkturunabhängige Finanzierung des Gesundheitswesens verlangt. Die anderen haben längst das Finanzziel zum bestimmenden Element ihrer Gesundheitspolitik gemacht.

Vor zwei Jahren hat die Ärztekammer ein Reformkonzept für das Gesundheitswesen vorgelegt, das bisher kein einziger Politiker oder Krankenkassenboss auch nur ansatzweise mit uns diskutiert hat. Stattdessen sagen uns gelernte Handwerker, Juristen, Lehrer, was gut für unsere Patienten ist und was sie brauchen.

Es ist absurd: Bei einer Justizreform käme niemand auf die Idee, uns Ärztinnen und Ärzte zu befragen, sondern man würde Juristen einbeziehen. Bei einer Gesundheitsreform hingegen heißt es: "Ärztinnen und Ärzte unerwünscht!" (Thomas Szekeres, DER STANDARD, 21.11.2012)