Mak: Auf der Suche nach einem modernen Stil in der neugestalteten Schausammlung.

Foto: MAK/Georg Mayer

Wien - Distanz verändert Sichtweisen und schafft Klarheit, vielleicht auch Nähe. 2004 zog Christian Witt-Dörring nach 25 Jahren die Reißleine. Eine letzte Pflicht hatte der Leiter der Möbelsammlung als Kurator der Ausstellung Der Preis der Schönheit anlässlich des 100-jährigen Gründungsjubiläums der Wiener Werkstätte noch erfüllt. Dann kehrte der Feingeist dem Museum für angewandte Kunst und vor allem Peter Noever den Rücken. Und er genoss die Freiheit der Selbstständigkeit.

Dazu gehörten kleinere und größere Projekte, mal Wiener Silber (2003-2005: Neue Galerie New York; KHM, Wien), dann wieder Biedermeier (2007-2008: Die Erfindung der Einfachheit, Milwaukee, Wien, Berlin, Paris). Die schönste Spielwiese fand Witt-Dörring jedoch als Kurator in der Neuen Galerie (New York) und revanchierte sich mit zwischenzeitlich legendären Ausstellungen, etwa jene zu den von Josef Hoffmann zwischen 1902 und 1913 geschaffenen Interieurs.

Warum das von Relevanz ist? Nun, es verdeutlicht, warum die Neugestaltung der Schausammlung zur Wiener Moderne, mit der Witt-Dörring beauftragt wurde, exakt so ausfiel, wie sie ausfiel. Mit einer über den internationalen Blickwinkel geläuterten Leidenschaft für den Sammlungsbestand und bar jedweder Nostalgie.

Die offensichtlichste Neuerung betrifft eine deutliche Erweiterung: in der Chronologie (bis 1938, vormals 1914), dazu in der Fülle der aus den Mak-Depots geborgenen Exponate, die teils etwas beengend wirken mag. Die Menge an Mobiliar ebenso betreffend wie der in zahlreichen Vitrinen arrangierten Repräsentanten des Kleinkunstgewerbes.

Eine für das Verständnis gebotene Dichte, argumentiert Witt-Dörring, für die ihm auch eine räumliche Ausdehnung zugestanden wurde. Statt deren zwei werden nun drei Säle bespielt. Beginnend beim Historismus, den es auf der Suche nach einem modernen Stil (Saal 1) bzw. einer zeitgemäßen Auffassung zu überwinden galt. Gezeigt werden hier neben Wiener Exponaten solche aus England, Schottland, Belgien, Frankreich, Deutschland und Japan sowie von ihnen inspirierte, in den Fachschulen der Monarchie entstandene Arbeiten. Ein Debüt, denn der Blick auf solche historische Zusammenhänge war dem Publikum bisher verwehrt.

Aha-Erlebnis(se) inklusive

Auf den Spuren der Entwicklung des Wiener Stils (Saal 2) trifft man bei den Sezessionisten dann auf das Biedermeier als Quell der Inspiration. Ein Aha-Erlebnis allererster Güte. Denn es erklärt den Kontrast zwischen der in Österreich anfänglich forcierten geometrischen Strenge zum kurvigen, von der Epoche Louis XV. abgeleiteten Manieriertheit der Franzosen. Umgesetzt in vielerlei Gestalt von Künstlern der Wiener Kunstgewerbeschule und der Wiener Werkstätte. Weiter führt das formale Repertoire über klassizistische Elemente und vegetabiles Raffinement bis zu den rokokoaffinen Kreationen eines Dagobert Peche.

Der dritte und letzte Saal ist der Entfaltung Vom Wiener Stil zum internationalen Stil gewidmet. Hier stößt man auf inhaltlich zweideutige Lösungsansätze für zeitgemäße Gebrauchsgegenstände (Josef Frank, Oskar Strnad), die im Dialog mit internationalen Objekten der De-Stijl-Bewegung und des Bauhauses stehen.

Insgesamt darf der Lehrpfad Wien 1900 durchaus als gelungen bezeichnet werden, gerade weil Christian Witt-Dörring die Wiener Moderne vom Zwang befreite, international sein zu wollen.

Manches, wie die bereit liegenden Booklets (vormals Folder), in den Besucher Details zu den ausgestellten Exponaten erfahren, blieb gleich. Anderes, wie die angekündigte künstlerische Intervention der neu arrangierten Schausammlung von Pae White, lässt noch bis Mai 2013 auf sich warten. Zur Überbrückung hat die amerikanische Künstlerin derweilen in den Mak-Depots gestöbert: Darüber hinaus ist der Titel der rein auf visuelle Reize abzielenden parallelen Präsentation (bis 17. März 2013) in der über den zweiten Saal zugänglichen Galerie.

Didaktische Mittel wie Infos zu Material oder Datierung braucht es offenbar nicht. Denn das liefe womöglich dem Konzept zuwider, wonach die Kreateure der hier gezeigten Papierarbeiten oder des Holzspielzeugs grundsätzlich unbekannt seien. Wiener Werkstätte oder Rudolf von Larisch ist man geneigt in diese "poetische Stille des Unbekannten" zu plärren. Einerlei, wer stößt sich schon an solchen Nebengeräuschen auf dem Weg der von Christoph Thun-Hohenstein projektierten Neupositionierung des Hauses. (Olga Kronsteiner, DER STANDARD, 21.11.2012)