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Im Handelsstreit zwischen Brüssel und Peking geht chinesisches Tafelgeschirr noch nicht zu Bruch. Aber die Spannungen steigen.

Foto: AP/Karas

Die Europäische Kommission hat vergangene Woche vorläufige Antidumpingzölle in Höhe von 17,6 bis zu 58,8 Prozent gegen Tafelgeschirr aus China verhängt. Sie setzt damit einen weiteren Meilenstein im fortdauernden Handelszwist zwischen der EU und China.

Nach eher geringer Aktivität unter Handelskommissar Peter Mandelson ist die Anzahl der EU-Antidumpingverfahren unter den Handelskommissaren Catherine Ashton und insbesondere Karel De Gucht wieder stark angestiegen. China ist das Land, dem am häufigsten unlauterer Handel vorgeworfen wird. Zwischen 2008 und 2012 wurden 35 neue Antidumping- (und Antisubsidy-)Verfahren gegen aus China stammende Produkte eingeleitet.

Unter Dumping versteht man im internationalen Handelsrecht den Verkauf von Waren am Exportmarkt unter dem Preis, den dieselben Waren am Heimmarkt erzielen - der sogenannte Normalwert. Wenn die Industrie im Importland dadurch geschädigt wird, etwa Marktanteile verliert oder einen Umsatzrückgang verzeichnet, kann die Preisdifferenz zwischen Normalwert und Exportpreis durch einen Antidumpingzoll ausgeglichen werden, der beim Import erhoben wird.

In der Vergangenheit waren es vor allem die EU und außereuropäische westliche Staaten, wie die USA, die Handelsschutzinstrumente, vorwiegend gegen China, einsetzten. Mittlerweile ergreifen fast alle Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) regelmäßig Schutzmaßnahmen gegen Dumping-Einfuhren.

Bei China kann man außerdem zunehmend eine auffallende Parallelität zwischen Dumpingverfahren, die gegen China und solchen, die von China eingeleitet werden, feststellen. So wurden die im November 2007, März 2009 und September 2010 eingeleiteten EU-Antidumpingverfahren gegen chinesische Verbindungselemente aus Stahl, Frachtkontrollsysteme und nahtlose Rohre aus rostfreiem Stahl jeweils wenig später mit entsprechenden chinesischen gegen das gleiche EU-Produkt gerichteten Verfahren beantwortet. Auf die im Oktober 2010 eingeleiteten EU-Antidumping- und Antisubsidy-Verfahren gegen chinesisches Feinpapier folgten sogar schon zwei Monate später entsprechende gleichgerichtete chinesische Verfahren.

Chemie zieht den Kürzeren

Wo die Situation der chinesischen Industrie einen "Gegenangriff" auf gleichartige Produkte nicht zulässt - z. B. weil die chinesische Industrie floriert -, ist es oft der Chemiesektor, der in dem Handelsstreit den Kürzeren zieht. So folgten auf die Einleitung des oben erwähnten Tafelgeschirrfalls zwei chinesische Antidumpingverfahren gegen die aus der EU stammenden Chemikalien Toluoldiisozyanat und Toluidin.

Anfang des Monats haben die chinesischen Behörden außerdem Verfahren gegen Polysilikon aus der EU eröffnet und prüfen die Einleitung von Handelsschutzmaßnahmen gegen EU-Wein. Diese Verfahren dürften die Reaktion auf das diesen Sommer eingeleitete EU-Antidumpingverfahren gegen chinesische Solaranlagen und die angeblich in Vorbereitung befindlichen Verfahren gegen Wireless-Equipment sein. Ähnliche Reaktionsmuster zeigen sich auch zwischen China und den USA. Kurz nach der Verhängung von Maßnahmen gegen chinesische Autoreifen durch die USA 2009 leitete China zwei Verfahren gegen Autos und Produkte aus Hühnerhaltung aus den USA ein.

Nicht mehr Buhmann sein

Das bedeutet nicht, dass alle chinesischen Antidumpingfälle Vergeltungsmaßnahmen sind. Diese Verfahren mögen für sich genommen durchaus gerechtfertigt sein. Was dieses Muster allerdings zeigt, ist eine abnehmende Bereitschaft Chinas, im internationalen Handel nur der Buhmann und das Ziel handelsrechtlicher Schutzmaßnahmen zu sein. Der rote Drache zeigt klar, dass seine Zähne auch scharf sind, und er schreckt auch nicht davor zurück, Handelsstreitigkeiten mit der EU und den USA vor dem Streitschlichtungsgremium der WTO auszufechten, obwohl eine Einigung auf diplomatischem Weg der chinesischen Mentalität eher entsprechen würde.

Die chinesischen Verfahren enden für EU-Hersteller oft mit nicht unwesentlichen Antidumpingzöllen in der Höhe von zehn bis 30 Prozent. Es ist daher in jedem Fall ratsam, sich an solchen Verfahren aktiv zu beteiligen, um seine Rechte zu wahren und sich gegen zu hohe Zölle zur Wehr zu setzen.

Neben der zunehmenden handelsschutzrechtlichen Aktivität Chinas und vermeintlich chinesischen Dumping-Einfuhren sehen sich EU-Industrien, die Antidumpingverfahren beantragen, zusehends mit erhöhtem Widerstand von EU-Importeuren und -Verwendern konfrontiert. So hätte die organisierte Opposition der nachgelagerten Industrien die Verhängung der vorläufigen Antidumpingzölle gegen chinesisches Tafelgeschirr beinahe zum Kippen gebracht.

Obwohl eine Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten gegen die Verhängung gestimmt hatte, hat sich die Kommission letzte Woche dennoch entschlossen, provisorische Antidumpingzölle zu verhängen. Die zweite Verfahrenshälfte des Tafelgeschirrfalls bis zur endgültigen Entscheidung am 16. Mai 2013 wird daher mit Sicherheit heiß umkämpft werden.

Aber auch das mögliche chinesische Antidumpingverfahren gegen EU-Wein verspricht einen ereignisreichen Winter. Fraglich ist nur, ob durch Schutzzölle erhöhte Weinpreise das exklusive Flair von Bordeaux, Pinot noir und Barolo für die chinesische Oberschicht nicht sogar noch steigern.(Jochen Beck, DER STANDARD, 21.11.2012)