Die Politik schiebt die Verantwortung für Nachhaltigkeit und Umweltschutz nur zu gerne ins Private ab, meint Armin Grunwald in seinem Buch "Ende einer Illusion".

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Von der "gegenwärtigen Moralwelle" beim Konsumieren hält Armin Grunwald nichts. "Die Konsumenten werden hauptverantwortlich gemacht. Ihnen wird ein schlechtes Gewissen eingeredet, und es wird so getan, als liege es nur an ihnen, die Wende zu mehr Nachhaltigkeit einzuläuten", sagt der Physiker und Philosoph im Gespräch mit derStandard.at.

Grunwald ist überzeugt, dass die aktuelle Debatte über Nachhaltigkeit in eine falsche Richtung läuft und die Revolution nicht allein im Supermarkt stattfinden kann: Denn die Politik schiebe die Sorge um Ökologie und Umwelt nur zu gerne in das Private ab. Daher stellt er in seinem Buch "Ende einer Illusion" die These auf, dass "ökologisch korrekter Konsum die Welt nicht retten kann". Der Verzicht mag der Umwelt nützen, habe aber Nachhaltigkeitsprobleme auf anderen Gebieten zur Folge.

Zahnlose Konsumkritik

Umweltsünder an den Pranger zu stellen sei zwar für Medien interessant, trage jedoch wenig zum Umdenken bei, bemängelt der Autor. Denn einerseits werde die Konsumkritik zunehmend lauter, andererseits drehe sich die Konsumspirale munter weiter. So habe sich in den westlichen Ländern die Menge der gekauften Kleidung in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Elektronische Geräte seien ebenso ein Bereich mit einem enormen Wachstum. Zugleich nehme aber die Qualität insgesamt ab und die Produkte hätten eine immer kürzere Lebensdauer.

Die Schattenseiten sind hoher Energie- und Ressourcenverbrauch sowie steigende Emissionen und Abfallmengen. Mit Rohstoffgewinnung, Produktion, Transport und Entsorgung sind zudem oftmals unfaire Arbeitsbedingungen bis hin zu Ausbeutung und Gesundheitsschädigung verbunden. Hinzu kommt, dass die Möglichkeit zum Konsumieren weltweit extrem ungleich verteilt ist. "Nur ein bis zwei Prozent der privaten Konsumausgaben entfallen auf das ärmste Fünftel der Menschheit", berichtet Grunwald. 

Askese ist nicht die Antwort

Der Anteil des Konsums an der weltweiten Wirtschaftsleistung beträgt aktuell rund 75 Prozent, davon entfallen zwischen 50 und 60 Prozent auf den privaten Verbrauch. Der Autor sieht einen radikalen Konsumverzicht deshalb nicht als Lösung an.

Es gehe vielmehr darum, die Rahmenbedingungen zu ändern, unter denen wir konsumieren. Denn es sei gefährlich, die ganze Verantwortung dem privaten Konsumenten aufzubürden. Dieser müsse für nachhaltige Produkte derzeit deutlich tiefer in die Geldbörse greifen. Daher verwundere es nicht, dass nur 10 bis 20 Prozent der Konsumenten Nachhaltigkeit in ihre Kaufentscheidung einbeziehen, sagt der Autor.

Zudem muss, wer ökologisch korrekt einkaufen will, wichtige Entscheidungen treffen: etwa ob der Kauf nachhaltig angebauter Produkte aus außereuropäischen Ländern trotz der Transporteffekte besser ist als jener von weniger nachhaltig angebauten Produkten aus dem Mittelmeerraum. Auch der Griff zum Bioapfel muss nicht automatisch eine bessere Ökobilanz zur Folge haben als der zu einer Grapefruit.

Preispolitik mit "ökologischer Wahrheit"

Entscheidend sei deshalb, dass die Preise die "ökologische Wahrheit" widerspiegeln. Das müsse die Politik etwa über spezielle Steuern und Abgaben regeln. Für die Konsumenten wäre es dadurch auch einfacher, nachhaltig zu konsumieren, da sie sich nicht dauernd wegen der höheren Preise "einen Ruck geben" müssten.

"Es ist derzeit ein gehöriges Maß an Idealismus erforderlich. Diese Hürde ist zu hoch", meint Grunwald. Eine Kerosinsteuer hält der Autor etwa für ein "schönes und dringendes Beispiel". Er ist auch überzeugt davon, dass solche Maßnahmen politisch über demokratische Verfahren und Mehrheiten beschlossen werden könnten.

Zivilgesellschaft schaut auf Unternehmen

Die Zivilgesellschaft spiele als Regulativ dennoch eine wichtige Rolle. In vielen westlichen Ländern würden Unternehmen vor allem dann Probleme mit ihren Kunden bekommen, wenn unmögliche soziale oder ökologische Produktionsbedingungen an die Öffentlichkeit gelangen.

Abgesehen davon, dass sich damit Imageverlust vermeiden lasse, könne sich nachhaltiges Handeln für Unternehmen auch anderweitig auszahlen. Etwa indem sie weniger Energie und Rohstoffe verbrauchen und dadurch Kosten sparen, sagt Grunwald. Oder indem sie durch vorbildliche Arbeitsbedingungen besonders qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte binden können. (Julia Schilly, derStandard.at, 13.2.2013)