Alfred Riepertinger: Vom Werkzeugmacher zum medizinischen Präparator.

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Der Oberpräparator am Klinikum Schwabing berichtet in seinem Buch über seinen Berufsalltag und Anekdoten aus seiner Karriere.

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Er hatte bereits den ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß und den Modezaren Rudolf Moshammer auf dem Tisch liegen. Alfred Riepertinger ist Oberpräparator am Institut dfür Pathologie des Klinikums Schwabing in Deutschland und Experte auf dem Gebiet der Plastination. Gemeinsam mit "Körperwelten"-Erfinder Gunther von Hagens arbeitete er an menschlichen Plastinaten, sein Alltag dreht sich allerdings um profanere und doch wichtige Aufgaben.

So präpariert er Verstorbene, damit sich Angehörige von ihnen am offenen Sarg verabschieden können. Oder er balsamiert Tote ein, damit sie in ihr Heimatland überführt und bestattet werden können. In seinem Buch "Mein Leben mit den Toten" gewährt Riepertinger Einblick in die Arbeit eines medizinischen Präparators und sein Leben.

derStandard.at: Wieso warteten Sie als Kind nach Unfällen gespannt auf den Leichenwagen?

Riepertinger: Weil mich die damit verbundene Mystik schon immer fasziniert hat. Friedhöfe, Särge, Leichenwägen: Alles, das mit dem Thema Tod zu tun hatte, war für mich als Kind spannend und nicht unnatürlich.

derStandard.at: Gab es dafür einen Auslöser? Es ist doch sehr speziell, dass man sich als Kind für das Thema interessiert.

Riepertinger: Mein Vater war ein Fan des bayrischen Komikers Karl Valentin, der auch den Hang zum Mystischen hatte. Valentin hatte in München ein Gruselkabinett, das allerdings pleite gegangen ist. Außerdem hat mein Vater als Kriegsteilnehmer viele Tote gesehen und meinen Drang zum Friedhof nie unterdrückt.

derStandard.at: Zuerst haben Sie eine Lehre zum Werkzeugmacher absolviert, dann in dem Beruf gearbeitet und sind schließlich Leichenpräparator geworden. Wie hat sich das ergeben?

Riepertinger: Ich habe mit 16 Jahren während meiner Lehre als Werkzeugmacher begonnen, bei einem großen Bestatter zu jobben, und bin langsam in den Beruf hineingewachsen. Nach Abschluss meiner Lehre absolvierte ich meinen Zivildienst im Klinikum Schwabing und schob Verstorbene von den klinischen Stationen in die Pathologie. Dort bekam ich bereits Einblick in die Arbeit eines Präparators. Am Ende meiner Zivildienstzeit war dort eine Stelle frei und nachdem mich der leitende Oberarzt fragte, ob ich nicht dableiben möchte, habe ich ja gesagt.

derStandard.at: Was ist der Unterschied zwischen einem Präparator und einem Rechtsmediziner?

Riepertinger: Der Rechtsmediziner hat wie der Pathologe ein abgeschlossenes Medizinstudium hinter sich. Der Präparator hat keine akademische Ausbildung. Die Tätigkeit am Leichnam ist aber nicht so unterschiedlich. Die Rechtsmediziner heben sich dadurch ab, dass sie noch zusätzlich Material für die toxikologische Untersuchung entnehmen oder spezielle Präparationstechnik anwenden, um spezielle Schuss- oder Stichverletzungen herauszunehmen. Das spielt bei uns keine Rolle.

derStandard.at: Wie wird man Präparator?

Riepertinger: Ich bin wie viele medizinische Präparatoren in meinem Alte, Quereinsteiger. Heute gibt es in Bochum eine Schule mit dreijähriger Ausbildung zum präparationstechnischen Assistenten. Dort werden alle drei Fachgebiete gelehrt: Biologische Präparation, um Tierpräparate anzufertigen, geologische Präparation, die bei Ausgrabungen eine Rolle spielt, und eben die medizinische Präparation.

derStandard.at: Sie schreiben im Buch auch davon, dass Sie nicht immer Mitleid mit den Leichen haben. Vor allem dann nicht, wenn Alkoholmissbrauch oder Nikotinsucht ersichtlich ist. Woran erkennen Sie diese Krankheiten?

Riepertinger: Eine gesunde Leber wiegt etwa 1500 Gramm und hat eine glatte, spiegelnde Oberfläche. Bei einem chronischen Alkoholiker bekommt die Oberfläche der Leber kleine Pustel. Außerdem werden die Blutgefäße so eingeengt, dass das venöse Blut aus den unteren Regionen nicht mehr durch das Pfortadersystem laufen kann. Dadurch neigt es dazu, an der Speiseröhre entlangzulaufen. Das kann Krampfadern bilden, die beim Schlucken von größeren Stücken einritzen können. So kann man schließlich verbluten.

Die Leber ist auch das chemische Kraftwerk im Körper, der sowohl die weiblichen als auch die männlichen Sexualhormone erzeugt. Durch Alkoholmissbrauch können diese von der Leber nicht mehr spezifisch abgebaut werden und so bekommt der Mann Brüste oder die Frau Bartwuchs.

derStandard.at: Was stößt Sie an einer Raucherlunge ab?

Riepertinger: Die Raucherlunge in dem Sinne gibt es eigentlich nicht. Teerablagerungen hat im Prinzip jeder, der in der Großstadt lebt. Die können sich durch Nikotin aber verstärken. Der Raucher hat das große Problem einer Lungenblähung. Dabei platzen die kleinsten Bläschen und bilden große Hohlräume, sodass der Sauerstoffaustausch auf das Blut nicht mehr wie gewünscht stattfinden kann. Dadurch können große Atembeschwerden auftreten.

derStandard.at: Sie arbeiten in der Präventionsarbeit mit Jugendlichen, vor allem was die Themen Alkoholmissbrauch und Rauchen betrifft. Erzählen Sie denen auch so plastisch, was im Körper passiert?

Riepertinger: Ja, ich rolle im Gegensatz zu den Klinikern die ganze Sache von hinten auf. Ich erzähle ihnen zuerst das Ende, wenn sie eine chronische Alkoholikerkarriere hinter sich haben oder wie das Leben eines starken Rauchers endet. Außerdem lasse ich sie wissen, dass es mit Mitte 40 zu spät sein kann, die Schäden, die man dem Körper zugefügt hat, wieder zu beheben. Ich zeige ihnen auch plastinierte Leberzirrhosen oder ein Lungenemphysem und erkläre ihnen, was in ihrem Körper vorgeht und was sie nicht mehr abbauen können.

derStandard.at: Wie reagieren die Jugendlichen darauf?

Riepertinger: Natürlich blocken einige ab. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass ich alle dadurch bekehren kann. Ich weiß aber definitiv von zwei, drei Jugendlichen die nach meinem Vortrag das Rauchen aufgehört haben. Ein Jugendlicher hat nach einem Vortrag vom Komasaufen Abstand genommen, weil er Angst hatte.

derStandard.at: Wann haben Sie Mitleid mit Körpern, die vor Ihnen liegen?

Riepertinger: Wenn jemand durch etwas stirbt, das er nicht beeinflussen konnte, durch Gewalt oder einen Unfall. Vor allem bei Kindern habe ich Mitleid, da sie solchen Gewalteinwirkungen schutzlos ausgeliefert sind. Da balle ich vor der Arbeit meine Faust sprichwörtlich in der Tasche, muss dann aber zu meiner Professionalität zurückkehren. Sonst könnte ich die Arbeit nicht machen. Und dann ermögliche ich den Angehörigen, dass sie sich von einem Anblick des Verstorbenen verabschieden können, der nicht gruselig oder grausam ist.

derStandard.at: Wie wichtig ist dieses Abschiednehmen?

Riepertinger: Das sollten Angehörige immer machen. Personen, die von Kriseninterventionsteams oder Polizeibeamten von einem plötzlichen Verlust erfahren haben und sich nicht vom Verstorbenen am offenen Sarg verabschieden konnten, tragen ein Leben lang psychische Störungen davon: Weil sie sich nicht überzeugen konnten, dass derjenige wirklich tot war. Das ist bewiesen. Ohne dass man den Verstorbenen noch einmal sieht, kann keine echte Trauerarbeit begonnen werden.

derStandard.at: Wann ist die Herausforderung besonders groß, einen Körper für dieses Abschiednehmen zu präparieren?

Riepertinger: Besondere Herausforderungen sind sicher Menschen, die von Zügen überfahren wurden. Vor allem wenn die Verletzungen im Gesichtsschädelbereich sind. Es ist auch schwieriger, wenn sich jemand in den Mund oder in das Gesicht schießt. Da können wir nur noch die Kopfform rekonstruieren, die Haare waschen und föhnen und das Gesicht abdecken.

Das ist aber für Angehörige schon ausreichend. Wenn sie die Silhouette des Kopfes, die Hände oder das vertraute Gewand sehen, dann reicht ihnen das. Man sollte Angehörige nie mit dem Satz "Behalten Sie ihn in Erinnerung, wie er gelebt hat" abspeisen. Wenn ein Angehöriger darauf besteht, sich zu verabschieden, dann sollte man ihn darauf vorbereiten, wie der Tote aussieht, und sich Mühe geben, den Verstorbenen so gut wie möglich herzurichten.

derStandard.at: Sie haben auch mit Gunther von Hagens zusammengearbeitet. Wie haben Sie den "Körperwelten"-Erfinder kennengelernt?

Riepertinger: Zu meiner Zeit war er noch in der Anatomie in Heidelberg als Arzt angestellt. Dort begann er seine Plastination in einer Etage einzurichten. Er ist ein Besessener. Er ist von seiner Idee und von seiner Arbeit stets besessen gewesen. Bereits zu Beginn der 1980er Jahre hat Gunther zu mir gesagt, dass es sein Traum ist, in Heidelberg ein Menschenmuseum einzurichten.

Diesen Traum hat er sich mit "Körperwelten" erfüllt. Dabei hat er mich ab und zu um Rat bei einzelnen Plastinaten gefragt und wollte mich auch als Mitarbeiter holen. Ich fühle mich in München allerdings wohl. Außerdem möchte ich meine Präparate so darstellen, wie ich sie haben möchte und nicht wie er sie mir aufträgt. Er ist ein hochintelligenter Mann, der leider auch schwer erkrankt ist und etwas geschaffen hat, das andere vielleicht auch gerne machen würden und ihm jetzt neidisch sind.

derStandard.at: Warum wehen in Liechtenstein die Fahnen immer auf Halbmast, wenn Sie einreisen?

Riepertinger: Das war nur so eine Aussage, weil wir innerhalb von vier Wochen die Fürstin und den Fürsten einbalsamiert haben. Und als unser Team das zweite Mal im Fürstentum war, habe ich meinem Chef gegenüber diesen Satz gesagt. Immer wenn wir kamen, war jemand verstorben. Es war mir aber auch eine große Ehre, diese beiden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens einzubalsamieren.

derStandard.at: Sie räumen im Buch mit dem Klischee auf, dass der Arbeitsplatz von Präparatoren ekelhaft und mit Körperflüssigkeiten besudelt ist. Gibt es trotzdem ekelhafte Momente in Ihrer Arbeit?

Riepertinger: Ekel darf man bei der Arbeit nicht empfinden. Ich habe eher Ekel vor ganz alltäglichen Dingen, wie wenn jemand in der U-Bahn nicht gewaschen ist. Wenn ein Verstorbener verfault ist, ist das ein natürlicher Prozess. Natürlich kann der Geruch auch extrem werden, aber da muss man professionell bleiben und den Verstorbenen so herrichten, dass er nicht mehr riecht. Auch in Operationssälen riecht es nicht gut. Wenn bei einem Lebenden gewisse Methoden und Werkzeuge angewandt werden, ist das total normal. Aber wenn ich dasselbe beim Toten mache, ist es gruselig. Das werde ich mein Leben lang nicht verstehen.

derStandard.at: Was soll mit Ihrem Körper einmal passieren?

Riepertinger: Das ist ganz einfach. Ich habe einen Spenderausweis. Wenn man irgendetwas von mir nach meinem Tod noch brauchen kann, dann soll man das nehmen. Anschließend will ich ins Krematorium gebracht und eingeäschert werden. Meine Urne soll in einer Nische am Friedhof beigesetzt werden, damit meine Angehörigen keine Arbeit mit der Grabpflege haben. Das war's. Wichtiger ist, dass mich die Leute in ihrem Herzen tragen und über mich reden. (Bianca Blei, derStandard.at, 20.11.2012)