Die Wahl des Zeitpunkts für die Eskalation des Gaza-Dauerkonflikts mag für die israelische Regierung ein politischer gewesen sein - der dräuende Gang von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in die Uno-Generalversammlung nächste Woche sowie der beginnende Wahlkampf in Israel. Das Ziel ist jedoch ein militärisches, und von einer Zwischenbilanz wird abhängen, ob sich Israel, mit allen politischen Risiken, zu einer Bodenoffensive entschließt.

Es geht Israel um die Entwaffnung des Gazastreifens, vier Jahre nach der großen israelischen Offensive von 2008/2009. Diese hatte zwar die Hamas schwer getroffen - was einer Aufrüstung danach aber nicht im Weg stand. Das kann man als Beweis dafür lesen, dass es keine militärische Lösung gibt. Unter den herrschenden Verhältnissen ist jedoch, ganz nüchtern gesehen, auch keine andere in Sicht.

Das militärische Verhältnis zwischen Hamas und anderen radikalen Palästinensergruppen im Gazastreifen einerseits und Israel andererseits kann man ja nicht einmal ernsthaft vergleichen, auch wenn die Berichte über die Raketenabschüsse auf Israel - die neben ihrem Schrecken für Betroffene vor allem von hohem Symbolcharakter sind - eine Symmetrie vorgaukeln, die es natürlich nicht gibt. Die palästinensischen Raketen sind keine Kriegs-, sondern Terrorwaffen. Aber die Bewaffnung der Hamas hat sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt - was die Quantität betrifft, aber auch die Qualität. Dabei hat der am Mittwoch von Israel getötete Ahmed al-Jabari eine wichtige Rolle gespielt.

Nahöstliche Paradoxien

Man wird nicht weit danebenliegen, wenn man die Explosion in einer Munitionsfabrik in Khartum Ende Oktober in den jetzigen Kontext stellt: Schon damals gingen Experten davon aus, dass es sich tatsächlich, wie vom Sudan behauptet, um einen israelischen Angriff handeln könnte. Iranische Rüstungsgüter gelangen auf dem Weg über den Sudan in den Gazastreifen - und auch auf den Sinai, dessen Sicherheit die neue ägyptische Führung nicht in den Griff bekommt, zum eigenen Nachteil und zu dem Israels. Ein verschärfender Faktor ist die offenbar unerschöpfliche Waffenzufuhr aus Libyen - auch die syrischen Rebellen werden ja teilweise von dort versorgt, eine der nahöstlichen Paradoxien.

Im Gazastreifen sind die Waffen hingegen nicht unerschöpflich - es könnte sein, dass die etwa hundert Fajr-5-Raketen iranischer Bauart, die mit 75 km Reichweite Tel Aviv und den Süden Jerusalems erreichen können, bereits zum Großteil verbraucht oder außer Gefecht gesetzt sind. Aber für Israel wird es darum gehen, darüber hinaus so viel militärische Infrastruktur wie möglich, etwa Abschussrampen, zu zerstören. Nur dann lohnen sich die politischen Kollateralschäden - man denke an die Arabische Liga, die ihre Außenminister nach Gaza schicken will. Die gemeinsame israelisch-golfarabische Interessengemeinschaft gegen den Iran ist wieder einmal schwer beschädigt.

Dennoch ist der neue Gaza-Schlagabtausch, bei dem Israel mit seinem " Iron Dome" nur seine Abwehrkapazitäten für Artillerieraketen, also nicht für ballistische Raketen aus dem Iran, testen kann, auch in diesem Kontext zu sehen: Falls es zu einem Krieg mit dem Iran kommt, soll das Einmischungspotenzial der Hamas ernsthaft herabgestuft sein. Es bleibt ohnehin das der libanesischen Hisbollah, die ungleich mehr Material hat, als im Gazastreifen jemals vorhanden war.  (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 19.11.2012)