Es ist Zeit zu handeln - befreien wir den Norden Malis!", verkündet das rote Plakat, auf dem eine schwarze Faust den Stacheldraht niederreißt. Solche Aufforderungen schmücken derzeit den Straßenverkehr in Bamako, der Zwei-Millionen-Metropole des Sahelstaates.

Viel Beachtung finden sie nicht. Alassane, der in seinem gelben Klapper-Mercedes unterwegs ist, während der lokale Rapper Arafat aus den Lautsprechern dröhnt, hat andere Sorgen, als sein Land zu befreien. "Das Benzin wird immer teurer, die Kunden bleiben aus", klagt er. Dabei sind aus dem Norden Zehntausende von Flüchtlingen hierhergeströmt. "Wie sollen die ein Taxi zahlen?", fragt Alassane. "Die haben ja nicht mal genug, um sich zu ernähren."

Vorbei geht die Fahrt an einem düsteren Rohbau mit verrosteten Eisengerüsten. Das Libya Hotel, als eines der höchsten Gebäude Bamakos geplant, sieht nicht danach aus, als würde es jemals fertiggestellt. Mit Muammar al-Gaddafi haben die Malier einen wichtigen Geldgeber verloren. Und die Hälfte ihres Territoriums: Nach dem Sturz des libyschen Diktators eroberten heimkehrende, gut ausgerüstete Tuareg-Rebellen den Norden Malis. Bald wurden sie selbst von den mit ihnen verbündeten Islamisten vertrieben. Seither herrscht in Nordmali die Sharia, das islamische Recht. 400.000 Bewohner sind in die Nachbarländer und nach Bamako geflüchtet.

Dort herrscht Chaos, auch politisch. Armeeputschisten unter Führung des Hauptmanns Sanogo setzten den bisherigen Präsidenten Amadou Toumani Touré ab, da dieser gegen Rebellen im Norden zu wenig unternahm. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) reagierte mit einem Embargo auf den Staatsstreich. Auch deshalb ist in Bamako alles teurer geworden. Die Offiziere sind in die Kasernen zurückgekehrt; Interimspräsident Dionkounda Traoré kämpft aber weiter um seine Autorität.

Natürlich wollen die 15 Millionen Malier den Landesnorden von der Islamistenplage befreien. Sadio Traoré, ein Bauingenieur aus Bamako, meint: "Diese Wüstenbanditen gehören nicht in die Moschee, sondern ins Gefängnis." Traoré stammt aus der Dogon-Region nahe des besetzten Gebietes und hat telefonischen Kontakt mit den Angehörigen im Norden. " Sie bestätigen mir, dass die Islamisten einem Dieb einen Fuß, einem anderen eine Hand abgeschnitten haben - mit bloßem Messer nach einer lokalen Anästhesie."

Trotz aller Empörung herrscht in Bamako aber keine patriotische Aufbruchsstimmung, Kriegseuphorie schon gar nicht. Die Malier misstrauen der eigenen Armee. Sie glauben aber auch nicht, dass sich die 2000 in Westafrika stationierten Elitetruppen Frankreichs auf bloße logistische Hilfe beschränken würden, wie dies Präsident François Hollande sagt.

Gilles Yabi, der Westafrikaexperte des Thinktanks International Crisis Group, befürchtet "eine noch nie dagewesene Militarisierung Westafrikas, dessen Länder sehr fragil sind". Zuerst müssten das Staatswesen und die Armee in Bamako selbst konsolidiert werden; erst dann ließen sich die Islamisten vertreiben.

Viele Malier befürchten zudem ein Ende des westafrikanischen Religionsfriedens. Die malischen Muslime, die 90 Prozent der Bevölkerung stellen (der Rest sind Christen und Animisten), sind von jeher tolerant und säkular eingestellt; mit den arabischstämmigen, meist algerischen Jihadisten im Norden haben sie nichts am Hut. Unter Verdacht gerät nun aber einer der populärsten Prediger Malis, Scheich Haïdara, der an sich für einen offenen und friedfertigen Islam eintritt. Er nennt seine Bewegung "Ansar Dine" (Verteidiger des Glaubens), also gleich wie die wichtigste Islamisten-Fraktion im Nordmali. Zufall?

Sympathien für Norden

"Niemand spricht darüber, doch die Islamisten im Norden haben einige Sympathisanten im Süden", meint Marie-Elisabeth Yattara, eine christliche Hebamme aus Bamako. "Die wollen nicht, dass wir mit dem Westen Krieg gegen andere Gläubige führen."

Außerdem halten sich in Bamako auf den französischen Geheimdienst zurückgehende Gerüchte, Golfstaaten wie Katar lieferten den Jihadisten Waffen. Ängstlich blicken die Menschen auf die Vorgänge im Norden. "Wir Malier sind in Glaubenssachen alle sehr liberal", meint Yattara. "Doch nun gerät der tolerante Islam Westafrikas mit einem Mal unter Druck." (Stefan Brändle, DER STANDARD, 19.11.2012)