An diesem Wochenende sind die Standesämter in der kanadischen Stadt Toronto sechs Stunden länger geöffnet als sonst. Die BeamtInnen brauchen mehr Zeit für einen, wie es heißt, "historischen Ansturm" von Heiratswilligen: In Toronto und der gesamten Provinz Ontario dürfen seit dem 10. Juni homosexuelle Paare ganz legal heiraten. Ein Berufungsgericht in Ontario gab nämlich überraschend grünes Licht für gleichgeschlechtliche Ehen.

Seither stürzen sich nicht nur kanadische Paare in den "Bund fürs Leben", sondern auch viele Schwule und Lesben aus den USA, wo ihnen die Ehe weiterhin verwehrt ist. Schon bieten US-Reisebüros Heiratstouren für Homosexuelle nach Toronto an.

Staunen und Entsetzen

In den USA herrscht darüber Staunen und bei manchen auch Entsetzen. Zumal bereits feststeht, dass Kanadas liberale Regierung, angeführt von Premierminister Jean Chretien, bald ein passendes Gesetz durchs Parlament bringen will, damit in Zukunft homosexuelle Paare nicht nur in Ontario, sondern überall in Kanada heiraten können.

Während laut Umfragen in Kanada eine klare Mehrheit gleichgeschlechtliche Ehen unterstützt, bewegt sich die US-Politik in die entgegengesetzte Richtung: Noch 1996 legte der Kongress im Gesetz "zur Verteidigung der Ehe" fest, dass nur Verbindungen zwischen Mann und Frau legale Ehen sind.

Die republikanische Abgeordnete Marilyn Musgrave, die das Gesetz entworfen hatte, verurteilt die Entscheidung in Kanada heftig: "Seit 200 Jahren ist in den USA die Ehe eine Verbindung zwischen Mann und Frau", erklärte sie, und so solle es bleiben.

Brisante Fragen

PolitikerInnen und Gerichte in den USA werden sich nun mit einer rechtlich brisanten Frage befassen müssen: Wenn US-Homosexuelle in Kanada heiraten, muss die Ehe dann in den USA anerkannt werden? Bisher ist es nämlich so, dass in Kanada geschlossene Ehen auch in den Vereinigten Staaten gültig sind. Konservative US-PolitikerInnen sind empört, dass die kanadische Regierung immer wieder wichtige Entscheidungen ohne Rücksicht auf (US-)"amerikanische Überzeugungen" trifft.

Die Stimmung zwischen den beiden Ländern ist ohnehin angespannt, seit sich das offizielle Kanada im März trotz großen Drucks aus Washington weigerte, am Irak-feldzug teilzunehmen. In den USA wird registriert, dass die beiden Staaten, die sich den Kontinent teilen, auf viele Gebieten auseinander driften.

In Fragen des sozialen Wandels sieht sich die führende Nation der Welt plötzlich im Hintertreffen. Oder, nach der Legalisierung der Homo-Ehe, im Zugzwang, wie der Geschichtsprofessor William Rubinstein, aus Los Angeles meint: "Die kanadische Entscheidung ist eine so monumentale Sache, dass es unwahrscheinlich ist, dass sie ohne Auswirkung bleibt." (DER STANDARD, Printausgabe 05./06.07.2003)