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In Salzburg trägt ein rechtskräftig verurteilter Vergewaltiger seit vergangenem Donnerstag für sechs Monate eine Fußfessel.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

In Salzburg trägt ein rechtskräftig verurteilter Vergewaltiger seit vergangenem Donnerstag eine Fußfessel, statt im Gefängnis zu sitzen. Für sechs Monate ist sein Bewegungsradius auf daheim und seinen Arbeitsplatz eingeschränkt - und es wird auch kontrolliert, dass er keinen Alkohol trinkt. Die junge Frau, der er vor sieben Jahren mehrfach Gewalt angetan hat - sie war damals 15 und hatte ihm offenbar vertraut - läuft gegen diese Entscheidung Sturm.

Für sie ist inakzeptabel, dass der Täter seine Strafe daheim verbringen darf. Sie hat Angst vor ihm und will, dass die Mauern eines Gefängnisses zwischen ihm und ihr stehen, auch wenn das nur für eine gewisse Zeit wäre. Sie sieht überhaupt nicht ein, dass dieser Mann im Strafvollzug etwas erhält, was nach Erleichterung riecht.

Bedürfnis nach Gerechtigkeit

Das ist durchaus verständlich, denn in diesem Fall wurde offenbar verabsäumt, die Situation des Opfers miteinzubeziehen. Das jedoch sollte im modernen Rechtswesen die Regel sein, neben anderen Erwägungen zu Sinn und Zweck von Strafen: der Spezialprävention (dass der Täter davon abgehalten wird, eine solche Tathandlung zu wiederholen, also dass er resozialisiert wird) und die Generalprävention (dass allen, also der Gesellschaft als Ganzes, das Unrecht der Tat vor Augen geführt wird).

Denn es geht auch um das Bedürfnis von Verbrechensopfern nach Gerechtigkeit. Und um ihr Gefühl von Sicherheit, also um ihren Schutz: Beides ist ihr Menschenrecht, ebenso wie das Recht, über alle relevanten Schritte im der sie betreffenden Causa rechtzeitig informiert zu werden. Nicht zufällig hat das Europaparlament im September 2012 beschlossen, dass Opfer von Sexualstraftaten im Voraus in Kenntnis zu setzen sind, wenn der Täter eine Fußfessel bekommt.

Opfer-Bedürfnisse als Richtschnur

Das allein reicht nicht. Sollte es, wie es verfassungsrechtlich scheint, gleichheitswidrig sein, bestimmte Tätergruppen, also etwa Sexualstraftäter, von Fußfesseln prinzipiell auszuschließen, so haben Justiz und Gesamtgesellschaft dafür zu sorgen, dass deren Opfer sicher sind. Kontaktverbote müssen erteilt und überwacht werden, und als Richtschnur müssen die Bedürfnisse der Verbrechensbetroffenen dienen.

Das mag aufwändig sein und Geld kosten, das in Zeiten des Budgetsparens schwer aufzubringen ist. Aber im Sinne eines modernen Justizsystems muss es aufgebracht werden. Um zu verhindern, dass etwa der Umgang mit Sexualstraftätern wieder jenen widrigen Kavaliersdelikt-Beigeschmack annimmt, den Vergewaltugungsprozesse bis hinein in die 1990er- Jahre hatten. 

Wenig bis gar keine Rücksicht auf Opferrechte

Im Salzburger Fall wurde bei der Fußfessel-Gewährung wenig bis gar keine Rücksicht auf Opferrechte genommen. Der Preis dafür ist, neben dem Vertrauensverlust der jungen Frau, eine weitere rechtliche Zuspitzung. Nachdem dem Täter die Fußfessel gewährt wurde, hat sie neuerlich Anzeige gegen ihn erhoben: Er habe sie im heurigen Jahr verfolgt und bedroht, bringt sie vor. Der Täter wiederum hat mit der Ankündigung reagiert, sein Opfer wegen Verleumdung klagen zu wollen.

Ein juristischer Grabenkampf kündigt sich an, im Zuge derer es erneut um Übergriff und Schuld geht. Also um Themen, die nach der rechtskräftigen Verurteilung des Mannes schon geklärt schienen. Wieder wird die junge Frau gezwungen sein, sich mit dem Mann zu konfrontieren, und er wird versuchen, ihr die Glaubwürdigkeit abzuerkennen. Wenn das kein Wiederholungsschaden ist - was dann?

Halbherzige Änderungen

Und die Politik wiederum hat auf das Salzburger Negativbeispiel - und andere ähnliche Causen - halbherzig reagiert. Der Zugang von Sexualstraftätern zur Fußfessel wird ab 2013 zeitlich eingeschränkt, den Opfern ein Äußerungsrecht gewährt. Doch auch das reicht nicht. Vielmehr verlangen alle alternativen Strafsanktionen, also auch die Fußfessell, die konsequente und längerfristige Begleitung aller Beteiligten - so wie im Grunde alle Mittel der Diversion, vom außergerichtlichen Tatausgleich bis hin zur freiwilligen Sozialarbeit.

Hier sind ExpertInnen, BewährungshelferInnen, PsychologInnen usw. gefragt. Will man vom reinen "Prinzip Einspirrn" wegkommen - und das möchte man in Österreich - müssen Justiz und Gesellschaft nicht nur den Tätern, sondern auch den Verbrechensopfern Angebote zur Gewährung von Gerechtigkeit und Sicherheit machen. (Irene Brickner, derStandard.at, 17.11.2012)