Großfamilien-Patchwork anno 2012: Angesichts der Verwicklungen hätte es komplizierter sein können, alle acht Erachsenen und sechs Kinder auf ein Bild zu bekommen.

Foto: mobiler fotosalon by Katsey

Stiefmütter und Stiefväter im Wandel: Aus ihnen sind Bonusmütter und Bonusväter geworden, zusätzliche Ressourcen für Scheidungskinder.

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Die Halbschwester meines kleinen Halbbruders (im Bild mit Rock), der Halbbruder meiner Halbschwestern (im Bild mit Hut).

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Egal. Fest steht: Unter dem Weihnachtsbaum wird heuer Ukulele gespielt - und zwar gemeinsam.

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Die Bilder wurden im Hotel Altstadt in Wien aufgenommen.

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Sie sehen toll aus. Ein bisschen wie die Royals, nur ohne Queen. Denn Großeltern sind keine dabei, die hatten den Rahmen gesprengt. Einen gemeinsamen Fototermin zu finden war ohnehin schwer genug. Familien sind nämlich ständig beschäftigt, quasi beruflich und privat. Aber angesichts aller Verwicklungen dieser Mutter, Väter und Kinder hatte es noch einmal komplizierter sein konnen, alle auf ein Bild zu bekommen.

Chapeau. Und suchen mussten wir auch nicht lange. Denn es gibt sie mittlerweile überall: Die Patchwork-Großfamilie. Das geht dann ungefähr so: Er hat einen Sohn aus früherer Verbindung, sie eine Tochter. Heute sind die beiden auch noch Eltern von zwei kleinen Mädchen. Seine Ex hat einen neuen Partner, aber kein weiteres Kind. Ihr Ex, mit dem sie eine Tochter hat, ist wiederum mit einer Frau zusammen, die schon einen fast erwachsenen Sohn hat.

Eltern mit vierzig

Mit vierzig sind sie vor kurzem noch einmal Eltern geworden. Deren Ex wiederum hat schon lange seine Freundin, aber noch kein gemeinsames Kind. Die Kinder sind zueinander Halb- oder Stiefgeschwister und manchmal auch gar nichts, sprich: Halbbruder des Stiefbruders. So oder so ähnlich. Egal. Fest steht: Diese Gruppe hat einiges von dem zu bieten, was eine moderne Familie heute ausmachen kann. Emanzipation, Bildungsexpansion, mehr erwerbstätige Frauen, Selbstverwirklichung, neue Lebensformen und der demografische Wandel wirken wie Zentrifugalkräfte.

Und "Patchwork", englisch so viel wie Flickenteppich, beschreibt schon seit längerem die familiaren Umtriebe, dort, wo das Vater-Mutter-Kind(er)-Modell zerfleddert. Und das tut es. Heute wird beinahe jede zweite Ehe geschieden. 92.000 Kinder leben in Patchwork-Familien. Tendenz weiter steigend. Viele leben bei einem Elternteil, meist alleinerziehende Mutter, immer mehr pendeln, wenige praktizieren das sogenannte Nestmodell, wo die Kinder in einer Wohnung bleiben und die Eltern Woche fur Woche ihren Wohnsitz wechseln und das durchleben, was sonst nur Kindern zugemutet wird. Aber die Familie ist deswegen kein Auslaufmodell, ihre Erscheinungsformen sind nur vielfaltiger geworden. Logisch. Wenn sich die Gesellschaft rapide wandelt, wandeln sich auch die Familien.

Aus der Krise gewachsen

Es ist kein Zufall, dass sich auf unserem Gruppenfoto mehr Erwachsene als Kinder finden. Lange Ausbildungszeiten, Karriere, Zeitdruck. Die Geburtenraten sinken, die Alten werden immer älter. Auch die älteren Eltern sind im Vormarsch. Frauen, die sich zuerst für Karriere und dann für Kinder entscheiden, verdanken späten Nachwuchs oft moderner Fortpflanzungsmedizin. Und die Männer werden immer öfter mit über 50, manchmal 60 und alter noch späte Väter und bescheren nicht selten ihren Enkelkindern noch Spielkameraden. Willkommen in der Mehrgenerationen-Familie! Auch das ist ein Teil des modernen Familien-Flickwerks. Familie bedeutet immer schon Verantwortung und Herausforderungen.

Patchwork bedeutet im Zweifel noch mehr von allem. Weil eine Menge neuer Mitspieler auf den Plan treten, etwa Kinderlose, die plotzlich mit Kindern leben, oder Stiefgeschwister, die miteinander auskommen sollten, sind Konflikte programmiert.

Oft mehr als in traditionellen Familien. Aber daraus ergeben sich auch jede Menge Chancen. Denn diese neuen Familienformen sind meist aus Krisen gewachsen, das schult die Betroffenen. Sie müssen lernen, besser zu kommunizieren, toleranter zu sein und respektvoller, nicht zuletzt geduldiger. Zumindest gibt es heute schon eine ganze Palette an Ratgeberliteratur, die sich mit diesen komplizierter gewordenen Anforderungen beschäftigt, öffentliche Ausstellungen, wie etwa die aktuelle im Wiener Kindermuseum Zoom, die einladen, sich mit dieser wachsenden Vielfalt an Familienformen auseinanderzusetzen, und nicht zuletzt ein viel breiteres Therapieangebot als früher.

Koste es, was es wolle

Denn auch das ist eine Tatsache: Auf Familien lastet enormer Druck – egal ob Patchwork oder nicht. Erwerbsdruck, Zeitdruck und auch Erfolgsdruck. Dazu
kommt: Familie und Kinder sind zunehmend auch zum Prestigeobjekt mutiert. In den eigenen Nachwuchs muss investiert werden. Koste es, was es wolle. Die wenigen, oft Einzelkinder, sollen alles erfullen. Diese gesteigerten Anspruche an die eigene Elternrolle und nicht zuletzt an die Kinder selbst konnen angesichts
der Arbeitsrealitaten von Eltern heute nur mithilfe von Babysittern, Au-pairs, Tagesmüttern und mit etwas Glück Großeltern unter einen Hut gebracht werden.

Das kostet auch, und nicht wenig – vor allem "Quality-Zeit", wie das so schon heist, mit den eigenen Kindern. Wen verwundert es, dass in einer aktuellen Studie (des Zukunftsinstituts) nachzulesen ist, dass bei immer weniger Kindern noch nie so viel Geld fur Spielwaren ausgegeben wurde, trotz allgemein schlechter Konjunkturlage. Die ist derzeit in Griechenland und anderen südeuropäischen Landern fur ein Revival des Modells "Hotel Mama" zuständig. Hier ziehen viele bereits erwachsene Kinder angesichts der Finanzkrise zu ihren Eltern zuruck. Glauben wir dem Schriftsteller und Kinderpsychiater Paulus Hochgatterer, wenn er sagt, die eigentliche Aufgabe von Eltern ist es, sich überflüssig zu machen, sind das keine beruhigenden Entwicklungen.

Politik für Lebensrealitäten

Die Familienpolitik hinkt bei all dem hinterher und schafft Rahmenbedingungen, die vielen die Angst vor dem Kinderkriegen nicht nehmen können. Eine niedrige
Geburtenrate von 1,4 Kindern pro Frau beweist das. Familien sind toll, schauen Sie auf die Bilder. Aber sie brauchen eine Politik, welche die Lebensrealitaten von heute auch zur Kenntnis nimmt. Familien brauchen flächendeckende Kinderbetreuung, eine familienfreundliche Arbeitswelt, ein Schulsystem, das auf die Bedürfnisse von Kindern und Eltern eingeht, und Gesetze, die auf diese neuen Formen von Familie Rücksicht nehmen.

Dabei warten schon die nächsten familienpolitischen Herausforderungen. Etwa die Rechte von Regenbogenfamilien, Familien, in denen Kinder bei gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen, liegen hierzulande noch im Argen. Aber die werden uns in Zukunft sicher noch beschäftigen. (Mia Eidlhuber, DER STANDARD, Family, 16.11.2012)