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Ungesunder Zustand? "Frau Doktorin", schreibt die Publizistin Fleischanderl über sich selbst: "Gewissermaßen eine Frau hoch zwei. Eine Frau zur Potenz. So wie auch eine Frau Lehrer mittlerweile eine Frau Lehrerin und eine Frau Bundesminister eine Frau Bundesministerin ist. Auch sie hoch zwei. Fraue zur Potenz."

Foto: Ocean/Corbis

An die Frau Doktor hatte ich mich schon gewöhnt. Frau Doktorin ist eine sprachliche Monstrosität.

Vor kurzem wurden mein Mann und ich bei einer Veranstaltung als die HerausgeberInnen einer Literaturzeitschrift vorgestellt. Zumindest akustisch ist mein Mann jetzt eine Frau, eine Herausgeberin. Ich bin Herausgeberin. Außerdem bin ich eine Frau Doktor. Bekomme ich einen Brief von der Universität, bin ich allerdings eine Frau Doktorin. Frau Doktorin Karin Fleischanderl. Gewissermaßen eine Frau hoch zwei. Eine Frau zur Potenz. So wie auch eine Frau Lehrer mittlerweile eine Frau Lehrerin und eine Frau Bundesminister mittlerweile eine Frau Bundesministerin ist. Auch sie Frauen hoch zwei. Frauen zur Potenz.

Ich frage mich, warum ich ständig mit der Schnauze darauf gestoßen werden muss, dass ich eine Frau bin. An die Frau Doktor hatte ich mich schon gewöhnt, die Frau Doktorin - eine sprachliche Monstrosität obendrein - führt es mir wieder eklatant vor Augen. Ich frage mich auch, warum man meinen Mann (zumindest akustisch) zur Herausgeberin macht, warum er, bloß weil ich eine Frau bin, ebenfalls eine Frau sein soll.

Auch ohne dass ich wie Hawthornes Ehebrecherin ein großes A auf der Brust trage, weiß ich, dass ich eine Frau bin, es ist auch für alle anderen deutlich erkennbar, ich kann es nicht verleugnen. Meine Geschlechtsidentität, halb Sex, halb Gender, klebt an mir wie ein nasses Hemd, das nicht abzustreifen ist.

Ich bin eine Frau und habe eine klassisch weibliche Biografie. Ich habe ein neusprachliches Gymnasium besucht, am Dolmetschinstitut und an der Romanistik Sprachen studiert. Von Berufs wegen bin ich Übersetzerin, eine typisch weibliche Tätigkeit, die sich manchmal hart am Rande der Heimarbeit befindet. Ich habe drei Kinder geboren und großgezogen, wahrscheinlich, so Gott will, werde ich mich in Zukunft um meine alt gewordenen Eltern und um meinen alt gewordenen Ehemann kümmern.

Frauen sind anders als Männer. Trotz aller Emanzipation liegen die Vorlieben und Fähigkeiten der Frauen im Bereich des Sozialen, Kommunikativen und Sprachlichen, die der Männer im Bereich des Technischen, Mathematischen. Frauen stürmen die geisteswissenschaftlichen Studien, Männer bleiben bei der Ausbildung zu technischen Berufen unter sich. Frauen bzw. Mädchen sind zwar die angepassteren - fleißigeren und disziplinierteren - Schüler, scheitern jedoch zum großen Teil an den mathematischen Anforderungen der Aufnahmeprüfung zum Medizinstudium. Eine aktuelle Publikation erklärt die Benachteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt damit, dass sie nicht so hart verhandeln können wie Männer. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Gendermainstreaming

Ob man Frauen aus ihren Vorlieben und Fähigkeiten und den sich daraus ergebenden Schwächen einen Strick dreht oder ob man geneigt ist, die spezifischen weiblichen Vorlieben und Fähigkeiten genauso hoch zu bewerten wie die männlichen, hängt vom jeweiligen gesellschaftlichen Konsens ab. Gendermainstreaming, wozu auch die sprachlichen Strategien des Binnen-I, des -a bei Magistra und -in bei Doktorin gehören, verfolgt offiziell das Ziel, die geschlechtsspezifischen Unterschiede sichtbar zu machen und die sich daraus eventuell ergebende Diskriminierung zu verhindern. Gendermainstreaming ist "Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft."

Obgleich so manche Frauenquote mittlerweile erfüllt sein mag, macht die Wirklichkeit, die mein Leben - sowie das vieler Frauen - bestimmt, absolut keine Anstalten, sich vom Gendermainstreaming in die Knie zwingen zu lassen. Einerseits bin ich außerstande, über meinen sex- und genderbedingten Schatten zu springen: Ich kümmere mich lieber um meine Kinder, anstatt einen Sitz in einer Vorstandsetage anzustreben, ich übersetze lieber italienische Dichter, anstatt (zum Beispiel) IT-Solutions zu entwickeln. Aber auch die Gesellschaft ist in keiner Weise bereit, mir entgegenzukommen, etwa sich zu überlegen, was Chancengleichheit bei unterschiedlichen Vorlieben und Fähigkeiten zu bedeuten hätte, beziehungsweise mir als Mutter oder Übersetzerin dasselbe Prestige zuzusprechen wie einem Vorstandsmitglied oder Entwickler von IT-Solutions, vom selben Einkommen einmal ganz zu schweigen.

Und auch die Fantasien und Weiblichkeitskonzepte in den Köpfen (nicht zuletzt der Frauen) zeigen sich vom Gendermain streaming weitgehend unbeeindruckt. Ich erinnere mich an einen nicht lange zurückliegenden Vortrag an der Universität, wo die weibliche Vizerektorin erklärte, das Vokabel "alma" umfasse das ganze Spektrum des Menschlichen, vom männlich Kühnen bis zum weiblich Nährenden, sowie an eine Mutter in einem Wiener Arbeiterbezirk, die zu ihrem kleinen Sohn sagte: "Heul nicht! Heulen tun nur Mädchen!"

Aus allen diesen Gründen kann ich nicht umhin, das Binnen-I, das -a bei Magistra und das -in bei Doktorin als Verhöhnung zu empfinden. Warum muss ich mir unablässig einen Stempel aufdrücken lassen, warum muss ich mir unablässig sagen lassen, dass ich eine Frau bin, eine Frau, eine Frau eine Frau, wo mich doch niemand (weder ich noch ein anderer) und schon gar nicht das Binnen-I, das -a bei Magistra und das -in bei Doktorin von den offenkundigen Nachteilen des Frauseins befreien kann, wo ich das Frausein abstreifen müsste, um in den Besitz von Geld, Macht oder Prestige zu kommen? Will mich jemand ärgern, indem er mir das (mit jedem Brief an die Frau Doktorin) unter die Nase reibt? Frau Doktorin - allein das Doppeltgemoppelte klingt, als würde sich jemand per Übertreibung über meinen Titel lustig machen wollen. (Während das Binnen-I klingt, als hätten wir die Mühen der Geschlechterdifferenz endgültig hinter uns gelassen und wären alle zu Schwestern geworden: HerausgeberInnen, LehrerInnen, BundesministerInnen ...)

Und warum werde ich gerade dort, wo ich meine Geschlechtsidentität für meine Verhältnisse am weitesten zurückgelassen habe, nämlich im universitären/akademischen Bereich, am heftigsten daran erinnert, eine Frau zu sein? Warum werde ich in meiner Rolle als Mutter oder in meiner Eigenschaft als Übersetzerin nie daran erinnert, eine Frau zu sein? Weil ich dort ohnehin bin, wo ich als Frau hingehöre?

Zweifellos bestünde die Utopie darin, einen Bereich zu schaffen, viele Bereiche zu schaffen, wo die Geschlechtsidentität hinfällig ist und nur unsere intellektuellen oder sonstigen Leistungen zählen. Wie die italienische Autorin Natalia Ginzburg einmal sagte: "In unseren besten Momenten ist unser Denken weder männlich noch weiblich. Unser höchstes Ziel sollte darin bestehen, einen Ort zu erreichen, wo sich männliche und weibliche Leser in gleicher Weise in unserer Literatur wiedererkennen und wir unsere persönliche, individuelle Physiognomie vergessen machen." Auch wenn alles, was wir denken oder tun, von unserer persönlichen Physiognomie geprägt ist und sich Frausein auch auf die Art des Schreibens und Denkens auswirkt. Vielleicht sogar darauf, wie gekocht, übersetzt, wie ein Vergaser ausgewechselt oder ein Tumor operiert wird.

Vielleicht ist diese Utopie machbar. Ich will auch nicht bestreiten, dass auf verschiedenen Ebenen daran gearbeitet wird, sie zu realisieren. Bis dahin allerdings - in der Übergangszeit gewissermaßen - sähe ich meine Vorstellungen vom Frausein am besten verwirklicht, wenn ich nach wie vor eine Frau Doktor und mein Mann ein Herausgeber sein dürften. (Karin Fleischanderl, Album, DER STANDARD, 17./18.11.2012)