Die Haut ist der Alleskönner unter den Organen: Sie schützt den Körper vor Umwelteinflüssen, leistet einen Beitrag zur Immunabwehr und unterstützt Stoffwechselfunktionen wie die Atmung. Die Haut ist immer in Aktion. Was ihr nicht bekommt, ist Immobilität. Bewegt sich ein Patient nicht, verursachen ansteigende Feuchtigkeit sowie Druck- und Scherkräfte Durchblutungsstörungen im Gewebe. Als Folge steigt der Anteil toxischer Substanzen, und es kommt zu Geschwüren, die im schlimmsten Fall lebensbedrohlich sein können.
Betroffen sind vor allem zwei Gruppen: ältere und querschnittgelähmte Menschen. Bei ihnen beträgt das Risiko, im Verlauf eines Klinikaufenthaltes an einem Dekubitus zu erkranken, trotz aller Fortschritte in der Pflege bis zu 50 Prozent. Und gar vier von fünf Querschnittgelähmten entwickeln mindestens einmal in ihrem Leben ein Druckgeschwür.
Die Medizinaltechnik hat das Problem längst erkannt: Es gibt unzählige Ansätze und Ideen, die Lebensqualität von Dekubitusgefährdeten zu erhöhen. Einige davon funktionieren nicht gut genug, andere - wie zum Beispiel Matratzen mit wechselnden Druckverhältnissen - sind immer noch sehr teuer.
Bettlaken bringt Linderung
"Es war gerade der scheinbar simple Ansatz, der mich für die Sache einnahm", erinnert sich Anke Scheel, Oberärztin am Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) im luzernischen Nottwill. Geleitet wird das Projekt von Empa-Forscher Siegfried Derler in der Abteilung "Schutz und Physiologie". Der Physiker widmet sich schon seit Jahren dem Thema Haut und Reibung und arbeitet an der Entwicklung von hautfreundlichen Materialen und Oberflächen.
Mit dem medizinischen Phänomen Druckgeschwür befasst er sich seit 2006. Damals lancierte er zusammen mit der Schöller-Gruppe - einem Anbieter von technischen Textilien - ein erstes von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) gefördertes Projekt zur textilen Dekubitusprävention. Die Resultate waren viel versprechend, weshalb die Partner drei Jahre später nachlegten und auch das SPZ ins Boot holten.
Weniger Berührungspunkte
"Wir evaluierten marktgängige Kunstfasern", erklärt Derler, "und entwickelten einen Stoff mit einer Art Punktrasteroberfläche". Diese spezielle Textilstruktur bietet zwei Vorteile: Erstens entstehen weniger Berührungspunkte und eine geringere Kontaktfläche mit der Haut und zweitens können die mikroskopischen Leerräume zwischen den Rasterpunkten Feuchtigkeit aufnehmen.
In weiterer Folge optimierte der Industriepartner die Webtechniken und das Team von Siegfried Derler testete die neuen Muster an den ausgeklügelten Hautmodellen. Ende 2009 war es dann soweit: Die Laborresultate erlaubten den Schritt ins Spitalbett. Als Testgruppe stellten sich 20 Querschnittgelähmte am Ende ihrer Erstrehabilitation am SPZ in Nottwil zur Verfügung, deren Haut durch die Invalidität zwar bereits verändert, aber noch nicht über Jahre geschädigt war.
Verbesserte Blutzirkulation
Während rund anderthalb Jahren wurde die Durchblutung sowie die Rötung, Elastizität und Feuchtigkeit der betroffenen Hautpartien regelmäßig kontrolliert. Das subjektive Befinden der Testpersonen wurde per Fragebogen erhoben. Die Ergebnisse waren erfreulich: sie schwitzten weniger, ihre Hautdurchblutung verbesserte sich und sie fühlten sich deutlich wohler als auf herkömmlichen Laken.
"Wir haben gezeigt, dass unser Ansatz der textilen Dekubitusprävention funktioniert", freut sich Hans-Jürgen Hübner, Chef von Schöller Medical. Er lässt das neue Betttuch zurzeit Tests unterziehen, die zeigen sollen, wie es sich nach mehrmaliger Nutzung und Reinigung verhält. Im kommenden Frühjahr soll die Innovation dann auf den Markt gebracht werden. "Wir sind daran, ein internationales Vertriebssystem aufzubauen", sagt Hübner. Einen potenziellen Kunden kennt er schon: Das SPZ ist aufgrund der ersten positiven Resultate daran interessiert, die neuen Betttücher breiter im Alltag einzusetzen. "Ausserdem», so Oberärztin Anke Scheel, "wären einige unserer Patienten daran interessiert, dass Betttuch auch zuhause zu nutzen". (red, derStandard.at, 16.11.2012)