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Das Kindle hat eine Revolution eingeläutet: Lesen könnte in Zukunft Auswirkungen auf die Kultur und Denkprozesse haben

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Die Pessimisten dieser Welt prophezeien schon seit Jahrzehnten den Untergang der Lesekultur. Mit dem Aufkommen der E-Books bekam die Diskussion rund ums Lesen neues Feuer. Doch wie Slate richtig schreibt, ist das Lesen ein so wichtiger Bestandteil unseres Lebens, dass eine Änderung dieses Umstands kaum vorstellbar ist. Das Lesen wird uns noch einige Zeit erhalten bleiben. Spannend wird die Diskussion um die Zukunft der Lesekultur bei der Wahl des Mediums. 

Umblättern

Den Akt des Lesens selbst bezeichnet Slate Autor Piper als "Verwandlung". Mit jeder Seite, die ein Mensch umblättert und dadurch an neuem Wissen gewinnt, verändert er sich. Dies hat sich in zahlreichen Sprüchen manifestiert: Im Englischen wird beispielsweise die Redewendung "Turning the page" ("Die Seite umblättern") auch als Synonym für Veränderungen verwendet. Dass Bücher so einen starken Einfluss auf Menschen und ihr Leben hat, ist nicht zuletzt dem Format zu verdanken. Ein Gegenstand, den man leicht halten, überall hin mitnehmen kann, hat bis heute noch starken Einfluss auf die Wissenschaft, beim Lehren und Lernen und auf das persönliche Befinden einzelner Personen. 

Selbsterfahrung

Dieses "Halten" des Buches und das Fühlen des Buchrückens, des Einbands, sind zwar wesentliche Bestandteile des Lesens, werden aber nach und nach durch elektronische Lesegeräte ersetzt. Autor Andrew Piper hält diese Entwicklung für eine bedenkliche. Er schreibt, dass Bücher den Menschen in seiner Einzigartigkeit bereichert haben. Neue Lesegeräte hingegen wären ohne Rückgrat, wie Quallen. Das Gelesene ließe sich nicht fassen. Dass der Sinn des Berührens hier völlig verloren geht, könnte Auswirkungen auf die Zukunft der Menschheit haben. Welche, das sei laut Piper noch lange nicht klar. Er meint, dass nur durch das Fühlen eine Selbsterfahrung oder Selbsterkenntnis möglich wäre. Erst da könne Denken und kreatives Denken entstehen. Die bloße Berührung mache den Text reichhaltiger und verleihe ihm erst Multidimensionalität: So sehr ein Buch einen für die Welt öffnet, so sehr wird die Welt auch in ein Buch heruntergebrochen.

Das Ende des "Fassens"

Das Experimentieren mit unterschiedlichen Formaten des Buches hat lange Tradition. Im 20. Jahrhundert bekam dieses Experimentieren einen Höhepunkt. Experimentelle Bücher wurden besonders zwischen den beiden Weltkriegen ein Thema: Bücher aus Sandpapier, Pappe, Holz und Metall bekamen eine Chance, haben sich aber nie durchgesetzt. Das Buch, wie wir es heute kennen, hatte bereits eine so große Masse an Menschen erreicht, dass ein Zurückrudern nicht mehr möglich war. Was man heute mit dem elektronischen Buch erlebt, sei hingegen etwas anderes, denn hier wird nicht mit der "Berührung" und der Erfahrung mit solcher experimentiert. Elektronische Bücher lassen sich nicht "fassen". 

Besorgt um die Zukunft

So wie Bücher geschlossene Systeme sind, die sich als Ganzes transportieren, verbergen oder weitergeben lassen, so offen sind elektronische Bücher aufgrund der Vernetzung einzelner Geräte. Wo diese Bücher tatsächlich sind, sei nicht klar, denn sie sind physisch nicht vorhanden. Sie seien außerhalb unserer Reichweite, wir können sie nicht fühlen. Der Bildschirm hält uns von dieser Welt fern. Er sei eine Schranke, die uns nicht in die Welt der Texte eindringen lässt. Doch das Bedürfnis nach Berührung und dieser Fühlbarkeit sei in einer modernen Welt unabdingbar und dringend notwendig. Alleine die Tatsache, dass man Seiten nicht mehr umblättert, stört den Autor. Das ständige Drücken von irgendwelchen Buttons sei damit keinesfalls zu ersetzen. Vielmehr würde die Interaktion mit dem Digitalen den Menschen stressen, weshalb eine Erholung beim Lesen nicht so gut funktioniere wie mit einem Buch aus Papier. Ein "echtes" Buch sei wie ein Totem, das uns vor Rastlosigkeit schützt, uns beruhigt und uns visionäre Gedanken einflößt und uns mit Ideen versorgt. (red, derStandard.at, 16.11.2012)