In den letzten Tagen sind hunderte Raketen aus dem Gaza-Streifen auf Israel niedergegangen, ohne dass sich die Weltöffentlichkeit daran sonderlich gestört hätte. Dass diesem Beschuss, der nun schon seit Jahren andauert, auch in der Vergangenheit nur vergleichsweise wenige Israelis zum Opfer gefallen sind, ist zum einen ganz einfach Glück. Zum anderen hat das nichts mit den Absichten jener Antisemiten zu tun, die diese Raketen mit dem Ziel abfeuern, wahllos die Zivilbevölkerung Israels zu treffen. Das würde ihnen noch viel öfter gelingen, gäbe es nicht die Maßnahmen der israelischen Terrorbekämpfung.

Auf Dauer werden diese allein die Weiterentwicklung der Raketen aber nicht verhindern. Würde Israel nun keine konsequenten Schritte gegen die Hamas setzen, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die palästinensischen Moslembrüder über ein ähnliches Waffenarsenal verfügen wie der iranische Verbündete im Norden Israels: die Hisbollah, die im Gegensatz zur Hamas absurderweise in der EU nicht als Terrororganisation eingestuft wird.

Das Problem im Gazastreifen ist nicht das israelische Vorgehen, sondern die Herrschaft der Dschihadisten, die nicht nur Israel terrorisieren, sondern auch all jene Palästinenser, die sich ein friedliches Zusammenleben mit den Israelis wünschen oder sich dem Tugendterror der Islamisten nicht unterordnen wollen.

Die Hamas hat zwar bei den Wahlen 2006 einen Sieg errungen, aber im Juni 2007 die Herrschaft über den Gazastreifen gewaltsam an sich gerissen, indem sie ihre Konkurrenten von der Fatah in einem blutigen Putsch ausgeschaltet und ein islamisches Terrorregime errichtet hat. Allein die Teilnahme an Wahlen verwandelt eine Organisation wie die Hamas, die sämtliche rechtsstaatlichen Prinzipien missachtet, nicht in eine demokratische Partei.

Die palästinensischen Moslembrüder streben ganz offen die Zerstörung Israels an, und in der Charta der Hamas, dem bis heute gültigen Parteiprogramm, wird ganz unverklausuliert zum Judenmord aufgerufen. Das Wohlergehen der eigenen Bevölkerung ist den Islamisten vollkommen egal. In der augenblicklichen Situation mag die Hamas über ihre Taktik nicht allzu offen sprechen. Doch im Februar 2008 rühmte der Hamas-Abgeordnete Omar Fathi Hamad das palästinensische Volk öffentlich dafür, dass es "Frauen, Kinder und alte Leute in menschliche Schutzschilde verwandelt hat."

Man muss kein Hellseher sein um vorherzusagen, was bei einer weiteren Eskalation der Situation im Nahen Osten in Europa passieren wird: Gruselgruppen des sich als "antiimperialistisch" verstehenden Teils der Linken werden genauso wie beim Gaza-Krieg 2008/2009 gemeinsam mit Islamisten zur Unterstützung des palästinensischen Volkskriegs aufmarschieren. Sie wetteifern mit den islamischen Dschihadisten sowie den eingeborenen Nazis darum, wer mit dem größten Fanatismus zur Vernichtung Israels aufruft. Die palästinensischen Unterstützer der Hamas haben damit genau jene Freunde, die sie auch verdient haben.

Jene Menschen in den palästinensischen Gebieten aber, die den Aufstieg der Hamas schon immer gefürchtet haben und auch der Fatah noch nie viel abgewinnen konnten, haben bessere Freunde verdient als jene, die stets am lautesten gegen den jüdischen Staat schreien und jederzeit bereit sind, die individuelle Sehnsucht der Menschen nach Glück dem großen Ganzen des islamischen Djihad zu opfern.

Aber auch viele Linke, die nur ungern unter Hamas- oder Hisbollah-Fahnen demonstrieren, haben bisher allzu oft Israel die Schuld an jeder Eskalation gegeben. Kommentatoren unterschiedlichster politischer Couleur werden nun wohl ihr übliches Vokabular in Anschlag bringen, das sich in völliger Abstraktion von den Verhältnissen im Nahen Osten im Gerede von "Unverhältnismäßigkeit", "Aufruf zum Dialog", "Gewaltspirale", "Verhandlungen mit allen Konfliktparteien", "Verurteilung der Gewalt auf beiden Seiten" etc. gefällt. Sollte es nicht ausnahmsweise zu einem Bruch mit den antiisraelischen Reflexen kommen, wird man wieder einmal Äquidistanz zelebrieren in einem Konflikt zwischen dem Staat der Shoahüberlebenden und ihrer Nachkommen auf der einen Seite und einer antisemitischen, misogynen und schwulenhassenden Mörderbande auf der anderen.

Gegen solch einen berechnenden Pazifismus, der sich mal in abstrakter "Gewaltlosigkeit", mal in europäischer Vermittlungssehnsucht, mal in klammheimlichem bis offenem Verständnis für den dschihadistischen Terror gefällt, gilt es an einen Satz des früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, zu erinnern: "Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder." Egal ob Israelis, Palästinenser oder Europäer - wer langfristig an einer Deeskalation der Gewalt im Nahen Osten interessiert ist, wird die jahrelang vom iranischen Regime und heute von mehreren arabischen Staaten und der Türkei unterstützte Hamas konsequent bekämpfen müssen. (Stephan Grigat, DER STANDARD, 16.11.2012)