"Rapid hat, auf Österreich gemünzt, ein ähnliches Selbstverständnis von Größe (Anm.: wie der FC Bayern), das aber nur von der Geschichte zehrt. Darum gibt es im Rapid-Volk so einen Aufschrei, wenn sich Schöttel mit dem Erreichen der Europa League zufrieden gibt."

Foto: Domenico Jacono

"Durch Solidarisierung mit den Ausgesperrten radikalisiert sich die Szene", beschreibt Domenico Jacono die Folgen von Stadionverboten. Im zweiten Teil des Interviews mit derStandard.at nimmt der Buchautor und Kurator des Vereinsmuseums Rapideum Stellung zur Causa Westbahnhof, die seiner Meinung nach ein "Schaustück für unverhältnismäßige Verfolgung, Kriminalisierung und Pauschalverurteilung" darstellt. Er erklärt die Ideologie der Ultras Rapid, wünscht sich eine Außendarstellung des Vereins, die der des FC Bayern ähnelt, verrät seine Bedenken hinsichtlich Großsponsor und analysiert den Platzsturm beim Derby im Mai 2011 gegen die Austria.

derStandard.at: Sind Stadionverbote eine wirksame Methode um Ausschreitungen und Störaktionen zu verhindern?

Jacono: Nein. Fanaktionen verlagern sich nach außen und sind damit noch weniger kontrollierbar, Schlägereien werden ohnehin oftmals abseits des Spiels ausgemacht. Durch die Solidarisierung mit den Ausgesperrten radikalisiert sich die Szene, was noch mehr Spannung bringt. Stadionverbote lehne ich ab. Das ist keine Lösung, sondern eine Repressionsmaßnahme.

derStandard.at: Die Causa Westbahnhof und der folgende Prozess haben dem Ansehen des Vereins und dem Ruf der Fans großen Schaden zugefügt. Es gibt aber auch Zweifel bezüglich Verhältnismäßigkeit und Fairness des Prozesses. Wie sehen Sie das?

Jacono: Der Prozess war ein Schaustück für unverhältnismäßige Verfolgung, Kriminalisierung und Pauschalverurteilung. Natürlich ist etwas passiert, aber wenn man es herunter bricht, dann handelt es sich bei einem Auftreten von knapp 150 Menschen um eine Sachbeschädigung in der Höhe von 3.500 € und zwei leichte Verletzungen, eine Schulterprellung und eine Nackenzerrung. Wenn man sieht, was daraus wurde, erübrigt sich die Frage, ob der Prozess fair war oder nicht. Es gab unbedingte Haftstrafen bis zu 14 Monaten.

Auch wenn ich mich noch so unbeliebt mache: Wer begeisterte und dem Verein verbundene Fans will, muss auch damit leben, dass Begeisterungsfähigkeit und Verbundenheit mitunter in Wut und Gewaltbereitschaft umschlagen können. Das ist so, seit Fußball gespielt wird. Wer Konsumenten will, hat Ruhe im Stadion, aber keine Fans. Das ist eine Grundsatzentscheidung.

derStandard.at: Rapids Außendarstellung wirkt eher lasch und ist von Tiefstapelei geprägt. Sollte man sich nicht eher ein Beispiel am FC Bayern nehmen? 

Jacono: Unbedingt. Die Frage ist, will ich mit diesen Veränderungen im Fußball wachsen oder begnüge ich mich zu überleben. Das Selbstbewusstsein der Bayern, das auf Jahrzehnten exzellenter Managementarbeit basiert, wird von anderen als Arroganz interpretiert. Rapid hat, auf Österreich gemünzt, ein ähnliches Selbstverständnis von Größe, das aber nur von der Geschichte zehrt. Darum gibt es im Rapid-Volk so einen Aufschrei, wenn sich Schöttel mit dem Erreichen der Europa League zufrieden gibt. Das stimmt mit dem historischen Anspruchsdenken nicht überein. Man kann auch resignieren und meinen, dieser Anspruch sei heute nicht mehr einlösbar. Dann müssen die Verantwortlichen aber dazu stehen und sagen, das Rapid heute ein durchschnittlicher Bundesligaverein ist und auch bleiben wird.

derStandard.at: Wäre es tatsächlich sehr riskant, wenn sich Rapid, wie viele andere Spitzenvereine in Europa auch, einem Großsponsor anvertrauen würde?

Jacono: Das wäre auf jeden Fall riskant und nicht kalkulierbar, weil die Macht in der Hand einer Person kaum Kontrolle ermöglicht. Stronach und Mateschitz haben ja gezeigt, wohin das führen kann. Ich bin daher mit unserer Lösung eines Sponsorenpools sehr zufrieden. Da ist das Ausfallsrisiko verteilt. Das ist sicher ein Verdienst des vielgescholtenen Herrn Kuhn, nur der Pool sollte stetig und substanziell vergrößert werden. 

derStandard.at: Rapid hat österreichweit das mit Abstand größte Potenzial an Publikums-Unterstützung, dennoch kann man budgetmäßig nicht ganz mit der Austria mithalten...

Jacono: Der Vergleich mit der Austria ist nahe liegend, aber die Austria ist traditionell stark im Unternehmertum verankert. Dort gibt es Seilschaften, die über Generationen bestehen, ansonsten wäre der kurzfristige wirtschaftliche Aufstieg nicht möglich gewesen, nach der verbrannten Erde, die Stronach hinterlassen hat. Rapid war immer schon der ärmere aber populärere Verein. Trotzdem könnte man viel mehr aus dem vorhandenen Potenzial machen.

derStandard.at: Stichwort Stadionneubau.

Jacono: Das besondere ist, dass Rapid der einzige Verein der Welt ist, dessen Stadion von einem der ehemals wichtigsten Spieler, nämlich Gerhard Hanappi, gebaut worden ist. Deswegen löst sich der traditionsbewusste Fan so schwer davon. Akzeptanz für einen Neubau ist nur dann gegeben, wenn er entweder in Hütteldorf, oder zumindest im historischen Kerngebiet der Grün-Weißen, also im Westen Wiens stattfindet. Ich kann z.B. einer Rückkehr auf die Schmelz viel abgewinnen.

derStandard.at: Der Ultrasbewegung wird oft nachgesagt, dass sie im rechten politischen Eck angesiedelt ist und sich aus Radaubrüdern und Schlägertrupps zusammensetzt. Eine Fehleinschätzung?

Jacono: Das ist ein Topfen! Es gibt rechte und es gibt linke Ultras-Gruppen, und es gibt welche, die sich nach keiner politischen Ideologie richten, z.B. die Ultras Rapid. Und Gewalt wird unter vielen Ultras zwar sehr wohl als Mittel zum Zweck akzeptiert, um Unabhängigkeit und Freiräume zu verteidigen, und zum Teil auch als Ausdrucksmittel. Das hat aber nichts mit Gewalt als Selbstzweck zu tun, wie sie von Hooligans angewendet wird.

derStandard.at: Wie hat sich der folgenschwere Platzsturm im Derby (Mai 2011) aus Fan-Sicht zugetragen?

Jacono: Es gab im Vorfeld aufgrund der sportlichen Misere, die auf erwähnte Versäumnisse in den Jahren zuvor zurückzuführen war, viel aufgestauten Frust im Anhang. Und der Platzsturm selbst war ein spontaner Protest, ein kollektives Dampf ablassen, das Ventil dazu öffnete sich durch das besondere Umfeld des Derbys. Der Protest ist zugegebener Maßen aus den Fugen geraten, und leider hat er auch dazu beigetragen, dass die strukturellen Probleme wieder eine Zeit lang aus dem medialen Gedächtnis verschwunden sind. Probleme die man nicht löst, kehren aber wieder! Wichtig ist, dass dieses groteske Verfahren wegen Landfriedensbruch, dieser Versuch einer Kriminalisierung aller Platzstürmer, eingestellt wurde. Das ist auch der Faninitiative "United We Stand" zu danken.

derStandard.at: Das Pyrotechnikverbot sorgt immer wieder für Unmut auf den Rängen und bei Nichtbeachtung für deftige Strafen. Warum zündelt der Fan so gerne?

Jacono: Warum zündelt man gerne am Silvesterabend? Das ist ganz einfach die Faszination des Feuers beim Festefeiern. Fußball ist Teil der Festkultur, und die Ultras haben sich an der südländischen Folklore bedient, wo Feuerwerke gang und gäbe sind. Status quo in dieser Sache ist, dass nach den Bemühungen der von Rapidfans ins Leben gerufenen Initiative "Pyrotechnik ist kein Verbrechen", trotz gesetzlicher Verschärfung sich kurzzeitig ein Kompromiss abgezeichnet hat und kontrollierter Einsatz von Pyrotechnik geduldet wurde. Dieser Kompromiss wurde aber nicht von allen Beteiligten getragen. Sei es, dass die Behörden trotzdem Anzeige erstattet haben, sei es, dass der eine oder andere Böller warf. Die informelle Absprache ist nun nicht mehr gültig und jetzt wird auf Teufel komm raus und strenger denn je gestraft. (Thomas Hirner, derStandard.at, 16.11.2012)

>> Teil 1 des Interviews