Ein altgedienter Auftragskiller weiß sich in jeder Situation zu wehren: Sylvester Stallone in Walter Hills "Bullet to the Head" in einer Altersrolle, die dem Symbolwert des ledrigen Stars gerecht wird.

Foto: rome international film festival / Frank Masi

Eine nackte Frau kniet nieder, sie spannt ihren Bogen und richtet einen Pfeil in die Ferne. Der vom Künstlerkollektiv Zapruder gestaltete Trailer des 7. Filmfestivals von Rom zeigt Diana, die Göttin der Jagd, im Auftrag der Kunst der bewegten Bilder - wie auf einem Filmstreifen spaltet sie sich in mehrere Darstellungen auf und wird dabei akustisch von einem entspannten Pfeifton umschmeichelt. In Wahrheit ist das Festival der Hauptstadt eine klare Kampfansage an die etablierte Konkurrenz von Turin und Venedig: Erstmals geleitet vom ehemaligen Direktor der Filmbiennale, Marco Müller, versucht man Rom nun als das letzte bedeutende Filmfestival des Jahres zu profilieren.

Müller hat dem im Norden der Stadt angesiedelten Festival trotz kurzer Vorbereitungszeit bereits ein markanteres Profil verpasst: einen interessant besetzten Wettbewerb, aus dem nun eine von US-Regisseur Jeff Nichols geleitete Jury und nicht mehr das Publikum den Goldenen Marc Aurel an einen Film vergibt; sowie die neue Cinemaxxi-Reihe, die sich innovativem Kino, oft nahe der bildenden Kunst, widmet und in der etablierte Formate und Gattungen bunt durcheinandergewürfelt werden. Ein Rezept, das schon in Venedig überzeugte: Genre, Autorenkino und Filmexperimente werden nebeneinandergestellt, um überraschende Anschlüsse und Kollisionen zu erzeugen.

Zu solcher Diversität passt auch der Maverick-Preis an Walter Hill, der in revisionistischen Genre-Arbeiten wie The Warriors, The Long Riders oder Johnny Handsome das Ethos des Hollywood-Handwerkers hochhält. Hill kam mit dem Action-Thriller Bullet to the Head nach Rom, der Sylvester Stallone in einer Altersrolle zeigt, die dem Symbolwert des ledrigen Stars gerecht wird: Als Auftragskiller gibt er eine Lektion in Coolness, die genau im richtigen Verhältnis ironisch nachhallt.

Witz entfaltet das im Stile eines Neo-Noir inszenierte Buddy- Movie in der Gegenüberstellung Stallones mit einem Cop, dessen "saubere" Methoden gegen jene des Veteranen keine Chance haben. Hill ist mit Bullet to the Head das Kunststück eines virilen Actionfilms alter Schule gelungen, der nicht kalkuliert retro, sondern ehrlich geschichtsbewusst wirkt - eine Sam-Peckinpah-Gedächtnisübung, wenn man so will.

Weitere zwei Eigenbrötler, die sich immer wieder offen für Experimente zeigen, finden sich in der Cinemaxxi-Sektion: der Niederländer Paul Verhoeven, der mit Tricked (Steekspel) einen Film realisiert hat, an dem gleich mehrere hundert Autoren mitgeschrieben haben, sowie der Israeli Avi Mograbi, der für Dans un jardin je suis entré die Hälfte des Films an seinen Freund und Protagonisten, den Palästinenser Ali Al-Azhari, abgegeben hat.

Verhoevens Film, eine geschmeidig inszenierte Familien-Soap, sieht man erstaunlicherweise die komplizierte Entstehungsweise kaum an. Das Drehbuch läuft auf Schienen, was das Vergnügen an dem knapp über 50-minütigen Film keineswegs mindert. Der seit einigen Jahren aus den USA zurückgekehrte Regisseur verstellt wieder fast unmerklich die moralischen Genre-Codes. In der Geschichte um einen untreuen Familienvater, seine loyale Ehefrau, zwei Kinder und einen heimlich geplanten Firmenverkauf übernehmen hinterrücks die Gehörnten das Kommando.

Bei Mograbi geht es hingegen um die Parallelisierung von Familiengeschichten. Während die Vorfahren des Filmemachers als Juden in Beirut gelebt haben - eine Geschichte, die vor allem in vorgetragenen Briefen anschaulich wird - und die Stadt schließlich verlassen mussten, stellt sich Alis Identität als Araber in Israel von anderer Seite als vielfach gebrochen dar. Dans un jardin je suis entré ist vor allem ein Film des langen Dialogs, und zwar in doppeltem Sinn, denn Mograbi spricht mit seinem Freund nur Arabisch.

Am Ende gelangen sie an Alis Geburtsort in Galiläa. Dort steht heute ein Schild, auf dem in falsch geschriebenem Arabisch Fremden der Zutritt untersagt wird. Es ist dann erstaunlicherweise Alis kleine Enkelin, die sich diesem Missstand nicht länger als nötig aussetzen will.   (Dominik Kamalzadeh aus Rom, DER STANDARD, 15.11.2012)