Er war ein Schlag ins Gesicht für die feinen Italiener aus dem Häusern Ferrari, Lamborghini und Maserati. Und in Stuttgart-Untertürkheim, bei Mercedes, rieben sie sich erstaunt die Augen. Jaguar hatte sie alle düpiert, hatte den Kontinentaleuropäern und den US-Amerikanern eindrucksvoll gezeigt, wer der wahre Pacemaker in Sachen automobiler Oberklasse war, der Bewahrer von Noblesse, Eleganz und ostentativen Leistungsreserven. All das vereinte ein Modell in sich, das vor 40 Jahren debütierte: der Jaguar XJ12, die erste Zwölfzylinder-Oberklasselimousine der Nachkriegszeit.

Neu, revolutionär war an diesem Wagen vorderhand wenig. Man brachte in der Jaguar-Zentrale in Coventry im Jahr 1972 schlicht zusammen, was zusammengehörte: Die bereits 1968 präsentierte, zweifellos gelungene, mit famosem Körper gesegnete Upperclass-Limousine der Reihe XJ und den 1971 erstmals in den E-Type verpflanzten Zwölfzylinder-Motor. Beide waren für sich genommen formidabel, doch erst gemeinsam sollten sie Geschichte schreiben – und sich vor allem in den USA blendend verkaufen.

Britischer Souverän: Jaguar XJ12 Mk I.
Foto: jaguar

Ohne den lukrativen amerikanischen Markt – die Briten setzten in jenen Tagen über 70 Prozent ihrer Ware zwischen New York und Hollywood ab – hätte es einen wichtigen Teil dieser Ehe, das Zwölfzylinder-Aggregat, wohl nicht gegeben. Als Ende der 1960er die Verkaufszahlen des angejahrten, dennoch legendären E-Type einbrachen und ein Nachfolger nicht in Sicht war, erinnerte man sich in der Vorstandsetage an einen Renegaten, der einige Jahre zuvor ohne Wissen der Manager die Entwicklung eines V12-Zylinders vorangetrieben hatte: Chefingenieur Bill Heynes.

Der hatte bereits ab Mitte der 1960er an einer Konstruktion getüftelt, deren technische Grundlage ein Jahre zuvor entwickelter, aber wieder eingesargter Versuchsmotor war. Als Heynes das Aggregat dennoch – und ziemlich erfolglos – in einem Mittelmotor-Rennwagen einsetzte, drehten ihm die Chefitäten das exaltierte Hobby prompt ab. Doch nun, angesichts eines Novitäten fordernden US-Markts, wurde die Idee wieder aus der Schublade geholt und zur Serienreife gebracht.

Klassische Silhouette, mitgestaltet von Firmengründer Sir William Lyons.
Foto: jaguar

Das Ergebnis war ein 5,3-Liter-Aggregat mit 24 Ventilen, das dank eines hohen Alu-Anteils relativ leicht geriet. Innovativ: die aus dem Rennsport übernommene Transistorzündung. Konservativ: der Rückgriff auf vier Stromberg-Vergaser. In Summe setzte der Antrieb eine neue Benchmark in Sachen Laufruhe und Elastizität.

Dem E-Type Coupé/Cabrio verhalf das 272-PS-Aggregat ab 1971 zu einem sehenswerten Comeback am US-Markt – Grund genug für die Jaguar-Truppe, den Trick mit der bislang nur mit Sechszylinder-Motoren bestückten Limousine XJ zu wiederholen. Im Grunde ging es um nicht weniger als ein nationales Anliegen: die Erschaffung der souveränen, feudalen, englischen Zwölfzylinder-Oberklasselimousine. Rule, Britannia!

"Cool Britannia" lautete indes das Motto der Ingenieure, die damit beauftragt waren, den Zwölfender in den XJ zu verfrachten. Zwar war der Motorraum gerade noch groß genug, den Block aufzunehmen, doch thermische Probleme zwangen zu exaltierten technischen Lösungen. Ein aufwendiges Kühlsystem musste entwickelt, die Drehzahl des Ventilators erhöht werden. Ein eigener Kühler bewahrte die Batterie vor dem Hitzekollaps. Zusätzliche Kabel- und Schlauchverbindungen machten den kunstvoll verbauten Motorraum zum Albtraum des braven Mechanikers.

"A leader should lack nothing." Jaguar-Werbung aus dem Jahr 1977.
Foto: jaguar

Den Besitzer dieses Prachtstücks hingegen erwarteten die aus dem XJ6 vertrauten Aufmerksamkeiten (ausladende Clubsessel, Chrom, elegischer Federungskomfort), eine BorgWarner-Automatik und die Gewissheit, einen Solitär des Besser-unterwegs-Seins zu chauffieren.

269 PS besorgten dem Wagen eine Höchstgeschwindigkeit von 225 km/h, Tempo 100 war in 8,1 Sekunden befriedet. Da hatte selbst die ebenfalls 1972 lancierte S-Klasse von Mercedes (W 116) nichts zu bestellen. 1,8 Sekunden später lahmte das Topmodell jener Tage, die Achtzylinder-Limousine 450 SEL, daher. Darüber hinaus geriet der XJ – im Vergleich zumindest – relativ günstig. Mit 345.500 Schilling (25.100 Euro) unterlief man den 450er um 50.000 Schilling – 1974 immerhin der Gegenwert eines neuen VW Käfer 1200. An der Prestige-Front hatten die Stuttgarter Streber ohnehin nichts zu bestellen: vier Töpfe weniger, danke, abtreten.

Viel Holz vor der Hütte: Nur das Beste für die betuchte Kundschaft.
Foto: jaguar

Die Italiener hatten zwar Zwölfzylinder-Aggregate im Programm, Lamborghini Espada und Ferrari Daytona waren aber eher keine Chauffeurs-Limousinen. Rolls-Royce hingegen fiel vor allem als überteuerter Dienstwagen für Problem-Bhagwans und durchgeknallte Potentaten auf. Nicht so der XJ12: Hier verschmolzen Image, Auftritt, Kraft zu einem souveränen Statement. Eine geballte Faust im Samthandschuh.

Verzückt zeigten sich Pressefritzen (Autocar: "In den oberen Bereichen bringt der Wagen schier unglaubliche Leistung"), die Werbeabteilung kreißte Elogen ("The XJ was touched with glory from the beginning"), und die Kundschaft griff dankbar zu. 120 V12-Motoren verließen anfangs wöchentlich die Hallen, zu einer Zeit, in der Lamborghini und Ferrari nicht einmal 1.000 Zwölfzylinder jährlich bauten. Dennoch reichten Jaguars Kapazitäten nicht aus, die Nachfrage zu befriedigen. Als die Warteliste immer länger wurde, löhnte die betuchte Kundschaft für gebrauchte Highend-Jaguars mehr als für einen Neuwagen.

Yes, of course.
Foto: jaguar

Selbst die kurz nach der Präsentation hereinbrechende Ölkrise im Jahr 1973 konnte dem Jaguar XJ12 – und seinem Schwestermodell, dem Daimler Double-Six – wenig anhaben. Das weiterentwickelte Paket blieb bis 1987, bis zum Erscheinen des völlig unbezwingbaren BMW 750i, nahezu konkurrenzlos. Bis 1997 hielten die Engländer den Motor im Programm. Dann musste der Prestige-Bringer einem hauseigenen V8-Zylinder weichen.

Zurück bleibt die Erinnerung an eine legendäre Limousine, der die Kraft und die Herrlichkeit nie ausgingen. Und über die Höhe der Mechaniker-Rechnungen breiten wir gnädig den Mantel des Schweigens. (Stefan Schlögl, Fotos: Jaguar, derStandard.at, 11.12.2012)