Der gesetzlich vorgeschriebene 25-Prozent-Abschlag vom Richtwert bei befristeten Altbau-Mieten werde schlicht "ignoriert", kritisiert die Arbeiterkammer.

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Die aktuelle Diskussion über die Mieten in Wien, ausgelöst von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne), sorgte am Mittwoch auch bei der Arbeiterkammer für starken Medienandrang. "Wohnen muss billiger werden" nannte diese ihre Pressekonferenz, und die Forderung nach "klaren Obergrenzen" wurde dort von Gabriele Zgubic, Leiterin der AK-Konsumentenpolitik, und dem AK-Wohnrechtsexperten Walter Rosifka ebenfalls postuliert - denn schließlich hat die AK seit vielen Jahren eine ganz ähnliche Forderung im Programm: Die gesetzliche Deckelung der Zuschläge im Richtwertmieten-System bei maximal 20 Prozent des Richtwerts.

Rosifka ärgert die aktuelle Debatte, in der in manchen Kommentaren schon von "kommunistischen Auswüchsen" die Rede war, deshalb auch ein wenig. "Es geht schlicht darum, dafür zu sorgen, dass die Obergrenzen, die schon da sind, auch eingehalten werden." Vassilakou habe also im Wesentlichen nichts anderes gefordert, als die AK seit Jahren vorschlägt.

Drei-Säulen-Modell am Bröckeln

Auf der Pressekonferenz (die die AK schon vor "Ausbruch" der aktuellen Debatte angekündigt hatte) wurde aber nicht nur über die Mieten geredet; für die Arbeiterkammer sitzt das Problem tiefer. Die drei Säulen, auf denen die österreichische Wohnpolitik im Wesentlichen ruhe, seien nämlich gerade arg am Bröckeln, sagte Zgubic. Dabei handelt es sich um die gesetzliche Mietenregulierung, die Wohnbauförderung und den geförderten Wohnbau.

"Das Richtwertmieten-System funktioniert nicht, die Mittel für die Wohnbauförderung werden immer weniger, und es wird allgemein zuwenig neu gebaut", brachte Zgubic die Probleme auf den Punkt.  Letzteres auch deshalb, weil rund die Hälfte der Wohnbaufördermittel in die Sanierung fließen. 

Forderung nach "Baugebot"

Neben der Wiedereinführung der Zweckbindung in der Wohnbauförderung sollte deshalb ein "Baugebot" für unbebaute Grundstücke kommen, schlugen Zgubic und Rosifka vor. Die bereits existierende Bodenwertabgabe sei "unwirksam", es brauche schärfere Regelungen "bis hin zur Enteignung", so Rosifka im Gespräch mit derStandard.at. Ein Rechtsgutachten habe bereits in den 1990er-Jahren nachgewiesen, dass dies grundsätzlich schon jetzt mit der Wiener Bauordnung vereinbar wäre, solange sich die Entschädigungshöhe "an den im geförderten Wohnbau üblichen Grundpreisen orientiert".

Hohe befristete Mieten

Was die Mietenregulierung betrifft, hat eine Studie des Wifo im Auftrag der AK bemerkenswerte neue Zahlen zutage gefördert: Die Mieten befristeter (privater) Altbau-Mietverträge sind in Wien bereits höher als jene unbefristeter Verträge, obwohl es bei Befristungen einen gesetzlich festgelegten Abschlag von 25 Prozent vom Richtwert geben müsste. Konkret wurden im Jahr 2011 bei Neuabschlüssen von befristeten Mietverträgen demnach im Schnitt 9,50 Euro pro Quadratmeter und Monat verrechnet, bei unbefristeten Mietverträgen waren es nur 8,70 Euro.

"Leute mit befristeten Mietverträgen wehren sich weniger", erklärte Rosifka dies. Im gesamtösterreichischen Durchschnitt mussten im Vorjahr 7,90 Euro pro m² und Monat bezahlt werden, sowohl bei befristeten als auch bei unbefristeten Mietverträgen.

"Mieten zur Refinanzierung von Spekulation"

Auch die Tatsache, dass die Preise für Wiener Zinshäuser (deren Mieten bekanntlich dem Richtwert unterliegen) immer weiter steigen - in den letzten zehn Jahren laut einer Studie der TU um das Zweieinhalb- bis Dreifache -, habe letztendlich mit dem "nicht funktionierenden" Richtwertsystem zu tun, sagte Zgubic. Die starken Verteuerungen seien nämlich nur deshalb möglich, weil Investoren wüssten, dass sie weit überhöhte Mieten verlangen und so wesentlich höhere Renditen erzielen können. "Die Mieten werden also zur Refinanzierung von Spekulation verwendet, nicht zur Refinanzierung von Investitionen."

Auch Rosifka übte einmal mehr heftige Kritik am geltenden Wohnrecht: "Bei einem funktionierenden Gesetz muss man nur im Ausnahmefall zu Gericht. Hier aber muss jeder zu Gericht, der sein Recht durchsetzen will." Weiterhin ist aber auch für den AK-Experten, der die Situation seit Jahrzehnten verfolgt, keine Besserung in Sicht, keine Einigung auf den "großen Wurf" auf SPÖ-ÖVP-Koalitionsebene absehbar.

Pisecky "gerne bereit, zu diskutieren"

Reaktionen aus der Immobilienwirtschaft kamen am Mittwoch recht rasch. Michael Pisecky, Obmann der Fachgruppe Wien der Immobilientreuhänder, gab bekannt, "gerne bereit" zu sein, "über Änderungen im Mietrechtsgesetz zu diskutieren. Vor allem eine Vereinfachung des Systems wäre wünschenswert." Sieben verschiedene Mietzins-Modelle gäbe es nämlich mittlerweile, allesamt "nur noch von Experten durchschaubar", und "bis zu fünf können in einem einzigen Haus zur Anwendung kommen". Ein modernes Wohnrecht müsse auch für die Mieter verständlich sein, so Pisecky - der der AK dann aber doch auch "Verunsicherung der Wienerinnen und Wiener" vorwarf: "Die frei vereinbarten Mieten in Wien sind in den letzten Jahren lediglich im Bereich der Inflationsrate gestiegen. Das ergibt der Immobilienpreisspiegel der Wirtschaftskammer."

Auch der Österreichische Verband der Immobilienwirtschaft (ÖVI) sieht "undifferenzierte Panikmache der AK" und wies darauf hin, dass deutliche Preisanstiege deswegen zu verzeichnen seien, "weil qualitativ weitaus höherwertige Wohnungen angeboten werden und bei einem Neuabschluss nicht mehr die alten Friedenskronenzinse oder der Kategoriemietzins zur Anwendung kommen, sondern zumeist der Richtwert". Geschäftsführer Anton Holzapfel thematisierte den niedrigen Richtwert in Wien (mit 5,16 Euro bundesweit der zweitniedrigste Wert, Anm.). Mit der politischen Entscheidung, den Richtwertmietzins künstlich niedrig zu halten, "werden solche 'angeblich überhöhte' Mietzinse vorsätzlich produziert", so Holzapfel. In keinem anderen relevanten Mietmarkt (Graz, Salzburg, Linz, Innsbruck) sei dies überhaupt Thema.

"Gleiches mit Gleichem vergleichen"

Für den Präsidenten des Verbandes der Institutionellen Immobilieninvestoren (VII), Wolfgang Louzek, ist ein Grund für die steigenden Wohnkosten der steigende Flächenverbrauch; bei der Wohnfläche pro Person können seit den 90er-Jahren eine Zunahme von 30 Prozent festgestellt werden. Außerdem würden auch Kategorie-Anhebungen die Statistiken verfälschen. "Sobald ein Altmieter auszieht wird die Wohnung saniert, bzw. findet eine Wohnungs-Zusammenlegung statt, um den heutigen Wohnbedürfnissen Rechnung zu tragen. Dass man daraus wunderbar eine Mietpreissteigerung herauslesen kann, ist wohl nichts Ungewöhnliches. (Martin Putschögl, derStandard.at, 14.11.2012)