Wien - Eine Diskussion zwischen Uni-Professoren, Kirchenvertretern und einem Schuldirektor über Religions- und Ethikunterricht ist für die meisten Schüler wohl nicht gerade die Art Veranstaltung, die man an einem Donnerstagabend gerne besucht. Doch die dort debattierten Fragen betreffen ja vor allem uns: Ist Ethikunterricht prinzipiell sinnvoll? Welche Inhalte soll er behandeln? Deshalb begab ich mich zur Aula auf dem Campus des Alten AKH, in dem sich eingangs genannte Vertreter zum Thema "Religions- und Ethikunterricht: gleichwertige Alternativen?" trafen.
Was ist Ethik überhaupt? Eingebürgert hat sich die Ansicht, dass Ethik in Verbindung mit Religion steht - für den Philosophen Konrad Paul Liessmann ist es ein Rätsel, wie es zu dieser falschen Annahme kam: Ethik sei eine Disziplin der Philosophie, die sich mit Werten und zwischenmenschlichem Umgang auseinandersetzt, Religion hingegen von konfessionellen Inhalten geprägt und je nach Glaubensrichtung verschieden.
Momentan existiert ein für alle verpflichtender Religionsunterricht, wobei die Möglichkeit besteht, sich ab dem 15. Lebensjahr davon abzumelden. Da sich jedoch Schüler zunehmend vom Religionsunterricht befreien, wird schon seit Jahren über einen verpflichtenden Ethikunterricht diskutiert. Zudem bleibt das Problem für Schüler ohne Religionsbekenntnis, denen der Ethikunterricht als Alternative längst nicht an jeder Schule angeboten wird.
Freiwillig oder verpflichtend?
Das Bildungsministerium hat der Regierung bereits einen Bericht zur Einführung des Ethikunterrichts vorgelegt, nachdem dies an einzelnen Schulen erprobt wurde. Dass ein flächendeckender Ethikunterricht kommt, scheint relativ sicher - noch zu klären bleibt, ob dieser verpflichtend oder freiwillig sein wird. Die SPÖ möchte einen obligatorischen Ethikunterricht, wobei der Religionsunterricht auf freiwilliger Basis zusätzlich belegt werden kann. Die ÖVP hingegen fordert, dass der Ethikunterricht nur für diejenigen Schüler verpflichtend sein soll, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen.
Alle Diskutanten sind sich einig, dass - egal ob Ethik- oder Religionsunterricht - sich nur die verpflichtende Variante langfristig halten wird. Der freiwillige Unterricht fände am späten Nachmittag statt, und die Akzeptanz unter Schülern dafür wäre gering.
Die derzeitigen Missstände werden auch durch ein Beispiel einer Mutter vom Schulalltag ihres Sohnes deutlich: In den Pausen nach dem Religionsunterricht, der, wie in Österreich üblich, nach Konfessionen geteilt ist, werden die Schüler mit den Weltanschauungen einer anderen, ihnen unbekannten Religion konfrontiert. Aus Fragen à la "Warum isst du kein Schweinefleisch?" entstünden so regelmäßig Konflikte, weil durch die mangelnde ethische Bildung der Schüler die notwendige Toleranz anderen Weltanschauungen gegenüber fehle.
Kann der geforderte Ethikunterricht hier ansetzen und durch allgemeingültige Werte und Umgangsformen für Schüler aller Glaubensrichtungen Frieden stiften? Wahrscheinlich, doch müsse man auch bedenken, so meint Liessmann, dass Kinder und Jugendliche immer nach einem Grund suchen, sich zu entzweien, ob nun durch Religion oder Musikgeschmack.
Nicht nur zwischen den Konfessionen, auch innerhalb einer Religion unterscheidet sich der behandelte Unterricht sehr stark. Ich kenne es nur allzu gut aus meiner eigenen Schule: Während ein Lehrer vollkommen auf den christlichen Glauben ausgelegt unterrichtet, lehrt ein anderer ebenso ethische Inhalte und betrachtet die eigene wie auch andere Religionen gleichermaßen kritisch.
Nun liegt es an der Regierung, "im Sinne der Schüler" zu handeln. Das heißt, die Jugendlichen müssen ausreichend konfessionell und ethisch gebildet werden. Ob dies durch einen Ethikunterricht oder einen revolutionierten und einheitlichen Religionsunterricht vermittelt wird, ist sekundär. (Philipp Koch, DER STANDARD, 14.11.2012)