Das Studio verlässt die Stadt und wird öffentlich: Mit dem "Übertragungsrad" von Radio Orange 94.0 ist eine neue Ära des Stadtradios angebrochen

Seit 2010 können RadiomacherInnen vom Fahrrad aus senden. Vom sogenannten "Übertragungsrad" aus lassen sich Beiträge vom Picknick im Park, vom Jazzbrunch, von einer Demo oder für das eigens entwickelte Hörspielformat "schnellundschmutzig" gestalten und live in den Äther schicken. Vorerst wird diese Möglichkeit der neuen urbanen Berichterstattung zwar noch eher sporadisch genutzt, umso exklusiver die Ergebnisse, die online nachzuhören sind.

Foto: Johanna Gradauer

Live-Berichterstattung unterm städtischen Busch: Hinter der Idee, mit dem Fahrrad verstärkt an die Öffentlichkeit und in Folge live auf Sendung zu gehen, stehen Lale Rodgarkia-Dara, Trainerin bei Radio Orange 94.0, und Frank Hagen (rechts im Bild), ebendort für das Thema Ausbildung zuständig. Vor zwei Jahren wurde das sogenannte "Übertragungsrad" erworben. Es verfügt über zwei grundlegende Funktionen: "Es ist ein Zusatztool für RadiomacherInnen und sorgt für mehr Präsenz von Radio Orange 94.0 in der Stadt", so Hagen.

Foto: ORANGE 94.0

Das Studio verlässt die Stadt. Damit entwickeln sich gleichzeitig neue, spannende Sendungsformate. Die Möglichkeit, Sendungen vom Fahrrad aus zu machen, entspricht Frank Hagens Intention, Lernen und Tun miteinander zu verschmelzen. "Das Radio-Machen liegt im Tun", sagt er. So niederschwellig wie möglich soll die Handhabung des Übertragungsrades sein. Auch wer keine große Technik-Erfahrung mitbringt, soll damit zurecht kommen, die RedakteurInnen Sendungen völlig autark gestalten können.

Foto: ORANGE 94.0

"Wenn Menschen Ideen haben, sollen sie im Rahmen der kleinen Ausbildung bei uns draufkommen, wie sie diese realisieren können. In einer zweistündigen Schulung hat man gecheckt, wie es geht und kann es anwenden", sagt Hagen.

Im Juni gestalteten 18 SchülerInnen der Klasse für Systemgastronomie der Berufsschule Längenfeld per Übertragungsrad eine Sendung zum Thema "Essen im öffentlichen Raum". Jeder der Mitwirkenden konnte sich im Rahmen des Lehrlingsprojektes den Job aussuchen, den er gerne machen wollte: Technik, Interviewführung, Moderation, Essens-Organisation, Dokumentation, Musik, bis hin zum Müllbeauftragten. Ort des Geschehens war die Meidlinger Hauptstraße und Umgebung. Zuerst gingen die SendungsmacherInnen mit dem Übertragungsrad am Markt einkaufen...

Foto: ORANGE 94.0

... dann bereiteten sie bei 35 Grad Celsius ein Picknick im Park neben dem Theresienbad zu, luden PassantInnen zum gemeinsamen Essen ein und ließen das Geschehen und die daraus entstehenden Diskussionen live auf Sendung gehen.

Klingt einfach? Ist es nicht. "Für eine Live-Sendung mit dem Übertragungsrad muss jeder Beteiligter jede Sekunde bei der Sache sein. Mich fasziniert das, wenn bei den chilligen, coolen Lehrlingen auf Knopfdruck die volle Konzentration ausbricht", sagt Frank Hagen.

Foto: ORANGE 94.0

"Man braucht zum Sendungmachen eine wachsame Person, die die Stabilität der Verbindung zu unserem Server kontrolliert", sagt Hagen. Und was tun, wenn die Verbindung doch einmal unterbrochen wird? "Lücken werden durch ein Überbrückungsprogramm abgefangen, das ein IT-Techniker entwickelt hat."

Foto: radio dérive@kampolerta 24 hour city/foto: johannes hloch

Eine kurze, unfreiwillige Sendepause hat die Jugendlichen nicht aus der Bahn geworfen. "Jeder, der mitarbeitet, will Pannen vermeiden, aber sie dürfen passieren", sagt Hagen. Im Orange 94.0-Studio sitzt immer ein Redakteur, der die Panne der HörerInnenschaft gegenüber kommuniziert.

Foto: ORANGE 94.0

Die Grundausstattung des Übertragungsrades besteht aus einem Mini-Mischpult mit Mikros,  Kabeln und einem Mini-Netbook. So ressourcenschonend und flexibel wie möglich soll sie sein. "Es kann je nach Vorhaben mit Strom oder ohne Strom, mit Kabeln oder ohne Kabeln gesendet werden, und Akkus gibt es in allen Varianten", so Hagen. Der Blick auf die Technik muss ein genauer sein. Angesichts des minimalem Equipment gilt es, alles manuell einzustellen und zu bedienen.

Foto: ORANGE 94.0

Darüber hinaus sollten die Inhalte nicht zu schnell aber auch nicht zu langsam vermittelt werden. "Gerade für Jugendliche ist Radio ein extrem anachronistisches Medium", weiß Hagen. "Alles, was über eine Minute 30 hinausgeht, ist unendlich lang. Dass wir uns bewusst mehr Zeit nehmen, genießen die Jugendlichen durchaus."

Die Suche nach einem fixen Standort für das Rad ist der entspannten Produktion einer Sendung zwar förderlich, aber nicht zwingend nötig: "Radfahren und gleichzeitig übertragen geht nicht", so Hagen. Mit Schieben klappt's aber sehr wohl.

Foto: ORANGE 94.0

Im Oktober wurde vom Übertragungsrad aus im Rahmen der Sendereihe "Dérive" eine 24 Stunden-Aktion von Kampolerta - einem Landschaftsarchitektenkollektiv und Netzwerk zur ungewöhnlichen Nutzung von öffentlichen Räumen - live übertragen (Bild). Thema war die Nutzung brachliegender Räume. Für den Zeitraum von 24 Stunden errichtete man eine temporäre Stadt auf einer nicht genutzte Autobahnrampe. Die Sendung kann im Archiv nachgehört werden.

Foto: radio dérive@kampolerta 24 hour city/ foto:johannes hloch

Radio Orange 94.0 ist ein gemeinnütziger Verein, bei dem elf Personen angestellt sind. Diese sind mit der Organisation beschäftigt. Der Inhalt der Sendungen ist völlig autark. "Jede und jeder kann sich um einen Sendungsplatz bewerben", erklärt Johanna Gradauer, die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Die geplante Sendereihe kommt vor ein Gremium, das über die Realisierung entscheidet. Kenntnisse rund um Technik und Sendungsgestaltung werden im "Freie Radio Grundkurs" erklärt und gleich ausprobiert. 30 bis 60 Minuten Sendezeit stehen den RadiomacherInnen zur Verfügung.

Im Bild: Eindrücke von der 24 Stunden-Aktion von Kampolerta

Foto: radio dérive@kampolerta 24 hour city/foto: johannes hloch

"Unser Schwerpunkt ist, dass Zielgruppen zu Wort kommen, die sonst nicht in den Medien präsent sind. Streng genommen gibt es bei Orange 160 verschiedene Sendereihen", sagt Gradauer. Durch den Live-Charakter des Übertragungsrades soll der Mitmach- und Selbstmach-Charakter des Senders zukünftig noch verstärkt werden.

Für alle, die einmal vom Rad aus ein Hörspiel senden, oder im Radio zuhören wollen: Am 11. Dezember von 18 bis 19 Uhr sendet schnellundschmutzig Teil V  spontan gemachte Instanthörspiele vom Weihnachtsmarkt am Karlsplatz. Anmeldung: schnellundschmutzig@o94.at

Sämtliche Sendungen aus der Reihe schnellundschmutzig finden sich zum Nachhören im Archiv von Radio Orange 94.0. (Eva Tinsobin, derStandard.at)

Im Bild: Eindrücke von der 24 Stunden-Aktion von Kampolerta

Foto: radio dérive@kampolerta 24 hour city/foto: johannes hloch