Der Umgang zwischen dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Eurozone erinnert an das Gehabe an einem Stammtisch. Solange der Abend andauert, zieht man einander auf und stichelt herum, bleibt aber im Grunde freundlich. Wer aber den Fehler macht und als Letzter heimgeht, zahlt die Zeche.

IWF-Chefin Christine Lagarde und Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker lieferten sich am Montagabend einen Schlagabtausch darüber, wann Griechenland seine vorgegebenen Reformziele erfüllen soll. Die Sache wäre an sich läppisch, drehte sich der Streit nicht um die Frage, ob Athen einen zweiten Schuldenerlass braucht: Der IWF ist dafür, die Eurozone dagegen.

Seit dem Ausbruch der Krise gerieten Währungsfonds und die Eurozone öfter aneinander. Im Falle Lettlands wollte der IWF 2009, dass der baltische Staat seine an den Euro gekoppelte Währung abwertet. Die Europäer wehrten sich erfolgreich. Zu Beginn des Hilfsprogramms für Irland ein Jahr später versuchte der Fonds einen Schuldenschnitt für die Gläubiger der irischen Banken durchzusetzen. Der IWF wollte damit den Staat entlasten, scheiterte jedoch mit dem Vorstoß.

Während Konflikte also nichts Neues sind, wurden sie bisher diskret ausgetragen. Damit ist Schluss. Vor allem der Währungsfonds streute in den vergangenen Wochen medial geschickt seine Forderung nach einem zweiten griechischen Haircut. Es kann gut sein, dass Lagarde politischem Kalkül und nicht einem spontanen Reflex folgte, als sie Junckers Darstellung zu Griechenland öffentlich widersprach.

Denn in den kommenden Monaten, allerspätestens aber nach der deutschen Bundestagswahl 2013 wird der Verteilungskampf rund um die Überreste der Griechenland-Milliarden beginnen. Wer sich rechtzeitig in Stellung bringt, ist im Vorteil. Fest steht, dass Griechenland ohne weiteren Schuldenschnitt - diesmal bei den öffentlichen Krediten - nicht auf die Beine kommen wird. Die Staatsverschuldung des Mittelmeerlandes wird bis 2014 auf 190 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Eine solche Dimension wäre selbst für ein prosperierendes Land kaum tragbar. Für Griechenland, das im fünften Jahr in einer Rezession versinkt, ist die Last jedenfalls zu groß, und zwar ganz gleich, ob das Land aus dem Euroraum austritt oder nicht. Daran werden auch kosmetische Eingriffe wie die Senkung der Zinsen für die Kredite nichts ändern.

Es geht also inzwischen vor allem darum, wann und wie der zweite Haircut durchgezogen wird. Wird sich die Europäische Zentralbank beteiligen, wer verzichtet auf wie viel? Das alles ist auch den Euro-Finanzministern bewusst. Doch der IWF tut sich leichter, Wahrheiten offen auszusprechen. Das hat weniger mit einer moralischen Überlegenheit als mit den Rechenschaftspflichten zu tun: IWF-Entscheidungen werden hinter verschlossenen Türen gefällt. Die Politiker der Eurozone sind hingegen ihrem Wahlvolk verantwortlich und müssen den Umgang mit Steuergeldern rechtfertigen. Noch wichtiger: Der IWF hat leicht reden, denn er trägt nie Verluste aus Programmen. Über diese gängige, aber nirgendwo festgeschriebene Praxis ließe sich durchaus diskutieren.

Aber dafür müssten die Europäer erst das Terrain aufbereiten, indem sie die Karten auf den Tisch legen und beginnen, der Öffentlichkeit zu erklären, dass die an Athen ausbezahlten Kredite nie voll zurückgezahlt werden. Die Zeit drängt. Der Letzte zahlt die Zeche. (András Szigetvari, DER STANDARD, 14.11.2012)