"Wien war so eine graue, schäbige, schläfrige Stadt. Seither ist so viel Positives geschehen."

Das sagt jeder zweite ausländische Besucher, der die Stadt zum ersten Mal in den 60er- und 70er-Jahren gesehen hat. Der Grund für das Graue und Schäbige: ein Mietrecht, das - basierend auf dem sogenannten "Friedenszins"- absurd niedrige Mieten in der privaten Wohnungsvermietung erzeugte (der Friedenszins wurde nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt, um heimkehrenden Soldaten eine billige Unterbringungsmöglichkeiten zu bieten). Es war schlicht und einfach so, dass die privaten Besitzer von Mietshäusern und -wohnungen nicht genug Einkünfte hatten, um in die Erhaltung, Modernisierungen oder gar Verschönerung der alten Substanz zu investieren.

Kompensiert wurden die niedrigen Mieten durch illegale "schwarze Ablösen": Der neue Mieter reichte unter dem Tisch bis zu 200.000 Schilling rüber. In den Achtzigerjahren stellte sich die Unhaltbarkeit dieser Situation heraus, das Mietrecht wurde etwas gelockert, und es begannen die Renovierungen.

Wien bekam sein neues, attraktiveres Gesicht - nicht aus dem einzigen, aber aus dem hauptsächlichen Grund, weil es sich wieder lohnte, in Mietimmobilien zu investieren.

Immobilien sind Güter wie andere auch. Sie müssen gepflegt werden. Sollte Maria Vassilakou ihren Vorschlag - Mietobergrenze von sieben Euro pro Quadratmeter - so durchbringen, wie sie ihn präsentiert hat, wird der Verfall der städtischen Wohnsubstanz wieder beginnen. Inzwischen wird uns versichert, das sei eh alles nicht so gemeint, es müsse Zuschläge und Abschläge für Mietwohnungen verschiedener Qualität geben, und das Ganze sei doch nur ein politischer Vorstoß gewesen, um die Aufmerksamkeit auf das Thema "Leistbares Wohnen in Wien" zu lenken.

Im Durchschnitt sollen aber trotzdem die sieben Euro ("für jetzt") dabei herauskommen.

Nur, im "Durchschnitt" lebt und wohnt niemand. Das ist eine eher unrealistische Betrachtungsweise. Und es ist immer noch Dirigismus. Allerdings ist das jetzige Mietrecht immer noch ganz schön dirigistisch, vor allem aber extrem kompliziert, uneinheitlich und vor allem ungerecht.

Dass die privaten Mietpreise (und die Preise für Eigentumswohnungen) so gestiegen sind, hat zwei Gründe. Zum einen sind in den letzten zehn, zwölf Jahren viele Mittelschichtler in den Kauf von Immobilien geflüchtet. Zweitens ist die Mietpreissituation immer noch verzerrt. Man kann in den besseren Bezirken innerhalb des Gürtels noch jede Menge guter Altbauwohnungen mit Altmietern finden, die einen Euro pro Quadratmeter zahlen. Das treibt die Preise am anderen Ende des Marktes.

Niemand ist für eine völlige Freigabe des Mietmarktes. Aber niemand mit einem Rest von ökonomischem Verstand kann wieder für eine eiserne Regulierung Marke 1950 sein. Gewiss, Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Aber Trinkwasser auch. Die Stadt Wien hat sich nicht gescheut, den (Monopol-)Preis dafür drastisch heraufzusetzen - weil er schon viel zu lange unrealistisch war.(Hans Rauscher, DER STANDARD, 14.11.2012)