Der grüne Ex-EU-Abgeordnete Johannes Voggenhuber, Bau-Holz-Gewerkschaftsvorsitzender Josef Muchitsch, Philosophin Sophie Loidolt und Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle (v. li.) diskutierten im Haus der Musik, STANDARD-Kolumnist Gerfried Sperl moderierte.

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Wien - Für Jean-Paul Sartre, den Prototypen dieser "Klasse", waren sie "das monströse Produkt monströser Gesellschaften" - immerhin mit der Option, "heilige Monster" zu werden: die Intellektuellen. Monster, weil sie den Spagat zwischen dem Dazugehören zur Gesellschaft und dem selbstkritischen Durchschauenwollen dieser Gesellschaft in sich tragen. Sie gehören immer auch dazu zu "den anderen", obwohl sie irgendwie anders sind oder sein wollen.

Was tun mit diesen Quergeistern? Braucht die Politik Intellektuelle? Oder brauchen diese vielleicht die Politik sogar mehr, um sich daran abarbeiten zu können?

Diese Fragen stellte Moderator und STANDARD-Kolumnist Gerfried Sperl beim STANDARD-Montagsgespräch im Haus der Musik einer Philosophin, einer Politikwissenschafterin, einem Spitzengewerkschafter und einem Ex-Politiker.

Wenn es ums Brauchen der Intellektuellen für die Politik geht, dann würde Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle von der Fachhochschule Kärnten deren Rolle unbedingt in Anspruch genommen wissen wollen - "als Berater, als Korrektiv, quasi als Sparringpartner, um die eigenen Positionen zu schärfen". Diese intellektuelle Zumutung aber, sich selbst zu konfrontieren mit Kritik, könne sie seit längerem in der Politik nicht mehr beobachten: "Man sucht mehr Schulterklopfer." Intellektuelle sollten ihrer Meinung nach "der Stachel in der Wohlstandsverwahrlosung sein und Druck machen zur Veränderung".

Gezwitscher ist keine Debatte

Die Frage nach dem Brauchen relativierte Philosophin Sophie Loidolt von der Uni Wien etwas, zumal gelte: "Der Intellektuelle braucht die Politik viel mehr." Und Intellektuelle in der Politik? "Muss nicht sein", findet die Philosophin, denn sie sehe nicht ein, "warum Intellektuelle bessere Politiker oder weniger korrumpierbar sein sollten als andere". Zu hohe Heilshoffnungen sollten also nicht in diese Gruppe projiziert werden, denn Loidolt glaubt "nicht, dass Intellektuelle die Krise der Politik lösen können". In demokratischen Systemen sei ihr Ort die kritische Öffentlichkeit. Da aber sei zu fragen: "Gibt es diesen Ort im klassischen Sinne noch?" Kurzlebiges Twitter-Gezwitscher ist noch keine "Debatte". Vielleicht sei gerade "die Krise" eine Chance, dass die Intellektuellen den lange Zeit sehr hofierten "Experten" den Rang ablaufen.

Wobei Expertenstatus auch so eine Sache ist, deutete der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Bau-Holz, Josef Muchitsch, an. Er, der "in der Partei nicht funktionieren will", sich also den Luxus der eigenen Meinung auch im SPÖ-Parlamentsklub nicht nehmen lassen und vor allem verstehen will und verständlich sein will, unterstrich besonders die Notwendigkeit des "Kritisch-Seins", die für ihn Intellektuelle verkörpern. Aber nicht nur sie, brachte Muchitsch die Rede auf die "kleinen Philosophen", die es auch gebe. Zum Beispiel auf einer Baustelle. Dort gebe es viele Menschen, die sehr klar durchdachte Vorstellungen von der Welt, vom Leben und dem dafür Notwendigen hätten.

Im Übrigen gebe es "in der Politik wesentlich mehr Intellektuelle, als es über das Fernsehen den Anschein hat". Denn hinter den Kulissen werde "wesentlich sachlicher diskutiert als vor dem roten Licht einer Kamera".

Vom früheren grünen EU-Abgeordneten Johannes Voggenhuber kam ein klares Ja zu intellektuellen Beifahrern für die Politik, die "systematisch nachdenken über die Lebensbedingungen". Er sprach vom "Kobold am Rande des Suppentellers, der den Parteien in die Suppe spuckt". Aber woher nehmen? Wenn doch "der Unterhaltungskünstler in vielen Fällen der Intellektuelle ist", sagte Voggenhuber: "Politik ist ihm fremd." So wie der Intellektuelle der Politik fremd ist. Die Folge? "Verwahrlosung" - in der politischen Sprache, im Denken, in der Reflexion. Das wird auf Dauer nicht gehen, da "Europa gezwungen sein wird, völlig neues Terrain zu betreten". Und dabei geht es vor allem um eins, sagte Voggenhuber: "Intellektuelle tun auch nichts anderes, als zu versuchen, das Leben lebenswert zu machen." (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 14.11.2012)