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Ein Prost auf den neuen Chef: Xi Jinping im Kreis seiner Parteifreunde in der Großen Halle des Volkes in Peking.

Foto: APA/EPA/Young

Es war ein verbaler Ausrutscher. Nun wird er dem immer gutmütig dreinblickenden künftigen Parteichef Xi Jinping international unter die Nase gerieben: Zum Fauxpas kam es am 11. Februar 2009. Der chinesische Vizepräsident hatte einen Besuch in Mexiko beendet und sollte weiterfliegen. Zuvor traf er sich noch mit Auslandschinesen. Umgeben von Landsleuten verzichtete Xi auf das Kauderwelsch der Politbürokaste, deren innerstem Zirkel er seit 2007 angehört. Die Folgen der Finanzkrise zogen Chinas Wirtschaftswachstum im Frühjahr 2009 mit nach unten. Xi schilderte drastisch, wie es wirklich um die Heimat stand: "Das wird das härteste Jahr für unsere Entwicklung."

Kritik aus dem Ausland könne er nicht auch noch gebrauchen, schimpfte Xi. "China ernährt und versorgt 1,3 Milliarden Leute. Das ist unsere größte Leistung für die Menschheit." Das halte aber ein paar Leute nicht ab, "dummdreistes Zeug über uns" zu reden. "Ein paar sattgegessene Ausländer haben nichts Besseres zu tun, als an allem, was wir machen, herumzumäkeln." Er sage ihnen: "Erstens: China exportiert euch keine Revolution und zweitens weder Hunger noch Armut. Drittens bereitet es euch auch sonst keinerlei Ärger. Was wollt ihr eigentlich?"

Als Vize unter Zensur

Ein Xinhua-Reporter schrieb mit. Am 13. Februar druckte Pekings Abendzeitung "Fazhi Wanbao" die Tirade ab. Dann verbot die Zensur jede Weiterverbreitung. Da stand der Ausbruch aber schon im Internet. Nach ungeschriebenen Regeln sollen Chinas höchste Funktionäre keine eigenen Meinungen äußern, schon gar nicht im Ausland. Ohne Politbürobeschluss dürfen sie auch keine Interviews geben. Wenn sie pensioniert sind, dürfen sie nicht einmal ins Ausland fahren. Absolute Macht in China zu besitzen hat ihren Preis - Anonymität und Profillosigkeit ihrer Träger.

Xi tanzte aus der Reihe und wurde prompt zensiert. Dadurch wurden seine Äußerungen dem Ausland noch verdächtiger. Die Frotzelei hätte die sinozentrische Voreingenommenheit Xis gegen den Westen offenbart.

Coverstar der Magazine

Keine Interpretation könnte falscher sein. Xi Jinping ist weder ein Nationalist noch ein Unbekannter. In China wurde der 59-Jährige, mit dessen Wahl zum Parteichef am Mittwoch der Generationenwechsel abgeschlossen wird, öfter als jeder andere Pekinger Führer vorgestellt. Seit 2010 haben ihm rund zwei Dutzend Magazine Titelgeschichten gewidmet. Sie porträtierten auch seine Frau Peng Liyuan (49), eine populäre Volksliedsängerin, Leiterin des Kunstensembles der Armee im Rang eines Generalmajors. Sie hat seit 2011 als Chinas Aids-Botschafterin für die WHO die Statur, um künftig eine First Lady der Volksrepublik werden zu können. Kommenden März soll Xi in Personalunion zu seinem Parteiamt von Chinas Volkskongress auch zum Staatspräsidenten ernannt werden.

Als Xi bis 2007 zuerst in Fujian, dann als Parteichef in Zhejiang und in Schanghai arbeitete, scherte sich die Pekinger Zentrale nicht um das, was er in vielen Interviews freimütig über sich verriet. Er werde leicht wütend, wenn etwas bürokratisch schiefläuft oder wenn er eine schwierige Entscheidung durchsetzen muss. "Es gibt Momente, wo ich dann losschreie und mich nicht zurückhalten kann." Manchmal sei es auch wichtig, eine kalkulierte, "rationale Wut" zu kriegen. "Ich schlage dann mit der Faust auf den Tisch, um alle aufzuschrecken."

"Zupacker" gegen Korruption

In der Küstenprovinz Fujian ging er so gegen rund 3000 Funktionäre seiner Verwaltung in der Stadt Ningde vor. Anlass waren Enthüllungen, wonach sie sich unrechtmäßig Land angeeignet hatten, um Wohnungen und Häuser für sich selbst zu bauen. Unter den Enteigneten und in der Bevölkerung kochten die Gemüter hoch. Die Disziplinwächter der Partei zögerten jedoch einzugreifen. Xi Jinping holte sie zusammen, schlug auf den Tisch und fragte, ob sich die Partei leisten könne, "drei Millionen Menschen in Fujian gegen uns aufzubringen", weil sie 2000 bis 3000 Funktionäre weiter schützen wolle. Die im Bau stehenden Siedlungen wurden abgerissen.

Xi erzählte das im Staatssender CCTV am 14. November 2003. Er war da seit einem Jahr KP-Chef in Zhejiang, eine der reichsten Provinzen mit dem höchsten Anteil an Privatwirtschaft. Von Fujian brachte er den Ruf eines "Zupackers" mit, der die Schmuggelprovinz in ruhiges Fahrwasser gelenkt und taiwanesische Geschäftsleute mit Milliardeninvestitionen angelockt hatte.

Auch über persönliche Dinge plauderte er in dem Fernsehinterview. Er war sechs Jahre alt, als sein Vater, ein Altrevolutionär, 1959 Vizepremier wurde. Der Bub führte nur scheinbar das Leben eines "roten Prinzen". Essen und Kleidung seien zwar nie ein Problem gewesen. Der Vater war aber ein kommunistischer Idealist, der mit seinen Ermahnungen zum einfachen Leben seine sechs Kinder, darunter vier Mädchen, nervte. Am Wochenende, wenn sie vom Schulinternat nach Hause kamen, mussten sie sich der Größe nach aufstellen und lange Litaneien über die Kampf- und Revolutionsjahre ertragen. "Unsere Ohren bekamen Schwielen", erzählte Xi.

Arbeitseinsatz im Dorf

Er gewann ein anderes Verhältnis zum Vater, als er mit neun Jahren erlebte, wie dieser 1962 zu Unrecht angeschwärzt wurde und bei Mao Tse-tung in Ungnade fiel. Bis 1978 wurde er aufs Land verbannt. Xi entkam der Diskriminierung, indem er sich 1969 mit 16 Jahren zur revolutionären Landarbeit in einem Dorf in Shaanxi meldete. Er schuftete dort 365 Tage im Jahr ohne Pause. Damals sei er so stark wie ein Büffel gewesen und konnte schwerste Lasten auf einer Tragestange über fünf Kilometer hügelaufwärts schleppen.

Fünf Jahre später war er dann auch der einzige unter 29.000 Stadtjugendlichen in der Region, den die Bauern baten, ihr Dorfparteisekretär zu werden. Kurz zuvor war er nach vielen Mühen 1974 in die Partei aufgenommen worden. Zehnmal war sein Aufnahmeantrag wegen des ungeklärten politischen Schicksals seines Vaters abgelehnt worden. Als "Vertreter" der Bauern durfte er 1975 auf die Universität, studierte Chemie, Jus und trat seine Parteikarriere an. Die Arbeit im Dorf führte nicht nur dazu, "dass ich unsere Bauern besser verstand", sagte er, sondern auch, dass er ein neues Verhältnis zum Vater fand.

Liebe in plumpen Hosen

Sowohl Xi als auch die bildschöne Peng Liyuan haben öffentlich berichtet, wie sie sich verliebten. Die Pekingerin war 24, als ihr eine gute Bekannte Ende 1986 den neun Jahre älteren Beamten aus Xiamen an der Südküste vorstellen wollte. Der sei dort Vizebürgermeister und ein "gaogan zidi", also Sohn eines hohen Funktionärs und "Prinzling". Peng war nicht interessiert. Die Bekannte ließ nicht locker, bis sie einwilligte, Xi einmal zu treffen. Sie zog sich dazu eine unförmige Armeehose an, um zu sehen, "ob er in mir nur ein Zierstück sieht". Als sie sich trafen, trug aber auch Xi eine der damals üblichen plumpen Hosen.

Peng begann sich erst für ihn zu erwärmen, als er auch einem weiteren Vorurteil von ihr nicht entsprach. Er fragte sie weder nach Schlagern aus noch nach den Honoraren, die Sängerinnen kassieren konnten. Xi plauderte lieber über Musik. Später sagte Peng, sie hätte sich beim Gespräch auf Anhieb wohlgefühlt, weil Xi sie ernst nahm und sympathisch wirkte. Lange nach ihrer Heirat im September 1987 gestand Xi, dass es bei ihm nach nur 40 Minuten gefunkt hatte.

Das Vermächtnis des Vaters

Die Angst von Pengs Eltern, ihre Tochter würde in einer arroganten Funktionärsfamilie schlecht behandelt, konnte Xi schnell zerstreuen: Sein Vater sei selbst Sohn eines Bauern. Als jener 1978 nach 16 Jahren rehabilitiert wurde, hatte er nur eines im Sinn: Als Mitstreiter Deng Xiaopings wollte er Chinas Öffnung und Umarmung der Marktwirtschaft politisch flankieren. Als Parteichef von Guangdong befreite er die noch zu Maos Endzeiten verfolgte Gruppe von vier Bürgerrechts-Aktivisten. Das Magazin "Blog Weekly" würdigte im Mai 2012 zum zehnjährigen Todestag Vater Xi Zhongxun und stellte eine Aufforderung an den Sohn aufs Cover: Dieser Vater hinterlasse ein Vermächtnis, "ehrlich etwas für Chinas Menschen zu tun, egal wie hoch du in einem Amt auch immer kommst".

Vieles, was Xi gemacht und erlebt hat, lässt kritische Intellektuelle in China hoffen und spekulieren, ob er wie sein Vater China öffnen und demokratisieren will. Skeptiker dagegen sehen ihn als Opportunisten, der sich korrupten Interessengruppen anpasse, in denen Partei und Wirtschaft derzeit aufgehen. Ohne Xi direkt zu belasten, hatte Bloomberg zuletzt enthüllt, das auch Xis Verwandte Vermögenswerte von hunderten Millionen US-Dollar besitzen. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 14.11.2012)