Die Prostituierte Riski (rechts) und ihre Kollegin Melli an ihrem Arbeitsplatz in Bekasi. Jeder vierte bis fünfte Freier verlangt Sex ohne Kondom. NGOs versuchen durch Aufklärung, die Mädchen zu schützen.

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Foto: CIA World Factbook/UNAIDS/Global Fund/EPA

Tenda Biru ist ein Ort, an den sich kein ausländischer Tourist verirrt, auch nicht der billigste Sex-Tourist. In dem ärmlichen Viertel von Bekasi, einer Industriestadt unweit der indonesischen Hauptstadt Jakarta, reiht sich in engen Gassen eine schäbige Hütte an die andere. Stolpert man lange genug durch dieses Labyrinth, erreicht man zwei Straßenzüge, in denen junge Frauen Nacht für Nacht ihre Körper an Fabrikarbeiter, Lastwagenfahrer und Tagelöhner verkaufen.

Die Hütten hier nennen sich "Cafés", davor hängen schummrige rote Leuchten, drinnen drehen sich Diskokugeln. Unzählige Lautsprecherboxen versuchen, sich gegenseitig mit Popmusik zu übertönen.

Das ist Riskis Welt. Die 29-Jährige aus West-Java trägt halblange Jeans, ein bedrucktes T-Shirt, offene Sandalen. Seit vier Jahren wartet sie jeden Abend von neun bis drei Uhr in der Früh im "Café Warung" auf Kunden. Zwei sind es etwa pro Nacht, sagt sie. Am Wochenende manchmal mehr, weil dann nicht alle Mädchen da sind. Das ergibt umgerechnet etwa 40 Euro pro Woche. Ihr Zuhälter verdient durch die Getränke, die sie den Freiern verkauft. Das Geld für den Sex kann sie behalten.

Übertragung durch ungeschützten Sex

Es sind Orte wie dieser, die dazu beigetragen haben, dass die HIV-Infektionen in Indonesien seit 2006 um das Dreifache in die Höhe geschossen sind. War HIV/Aids zunächst ein Problem der Drogenszene, so macht die Übertragung durch ungeschützten Sex laut dem Gesundheitsministerium in Jakarta heute einen Großteil der Neuinfektionen aus, im ersten Halbjahr 2012 waren es etwa 73 Prozent.

Im internationalen Vergleich steht Indonesien zwar noch recht gut da: Die UN-Organisation UNAids beziffert die HIV/Aids-Rate auf 0,2 Prozent. Doch Gesundheitsministerin Nafsiah Mboi schätzte jüngst in der Jakarta Post, dass sechs Millionen Menschen in dem 249-Millionen-Staat regelmäßig "riskantes sexuelles Verhalten" an den Tag legten. "Das Risiko einer HIV-Epidemie ist hoch."

Ministerin Mboi weiß, wovon sie spricht: Die resolute 72-Jährige war vor ihrer Berufung zur Ministerin im Juni Vorsitzende der Nationalen Aids-Kommission. Der Kern des Problems, sagte sie noch im Juni im Gespräch mit Journalisten, seien die "vier Ms": "Mobile men with money and macho behaviour" - mobile Männer mit Geld und Macho-Verhalten.

Vorwurf der Promiskuität

Doch beim Thema Sex stößt man im größten muslimischen Land der Erde schnell an moralische Grenzen. Sexualkundeunterricht ist in der Schule verboten. Sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe gilt noch immer als Gebot, vor allem für Frauen. Und wer, wie die Nationale Aids-Kommission, den Gebrauch von Präservativen empfiehlt, sieht sich unweigerlich dem Vorwurf ausgesetzt, Promiskuität zu propagieren.

"Heutzutage heiraten die jungen Menschen mit 30 - wir können nicht erwarten, dass sie davor keinen Sex haben", sagt Mboi. Gerne zitiert die Ministerin Zahlen der Nationalen Familienplanungsagentur, wonach im Jahre 2010 über zwei Millionen junge Mädchen in Indonesien eine Abtreibung hatten.

Und nicht nur das: "Unser Staat besteht aus über 17.000 Inseln - und es gibt keinen Hafen, wo es keine Prostitution gibt", betont Mboi. Freier, die sich so mit dem HI-Virus infizieren, stecken dann auch ihre Frauen zu Hause an. Nirmala Kesumah, eine Ärztin in einem Aids-Spital in Bandung, bestätigt, dass immer mehr Frauen die Klinik aufsuchten. "Die meisten davon sind Hausfrauen."

Doch ungeachtet des alarmierenden Infektionsanstiegs gab es einen (erfolglosen) Proteststurm, als die Regierung kurz nach Mbois Amtsantritt ankündigte, fast 58 Millionen Präservative auszugeben. Konservative islamische Gruppen, allen voran die radikale Islamisten-Gruppe Hizbut Tahrir, beschuldigten Mbio, Ehebruch und sexuelle Freizügigkeit zu fördern. Die Ministerin wurde vom Parlament vorgeladen. In einem Youtube-Video dementierte sie die Unterstellung, sie habe Kondome an Schulen verteilen wollen - die Kampagne beziehe sich auf "Hochrisikogruppen".

Problem Dezentralisierung

Dass es der Regierung ernst ist in ihrem Kampf, bescheinigen ihr selbst kritische Nichtregierungsorganisationen. Unterstützt wird Jakarta dabei unter anderem vom UN Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria in Genf und westlichen Geberländern. So ist es gelungen, die Behandlung von HIV-Infizierten zu verbessern und eine Struktur von Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen aufzubauen.

Doch viel zu häufig unterlaufen die regionalen Regierungen diese Bemühungen. "Die Dezentralisierung ist ein großes Problem", sagt Aldo Saragi vom Nationalen Netzwerk von Sexarbeitern, kurz Opsi. Die Provinz Aceh sei zwar die einzige, in der die Scharia gelte. Doch es gebe ähnliche Tendenzen in anderen Landesteilen. Prostitution ist in einigen Provinzen verboten. Das mache es noch schwieriger, die dortige Bevölkerung über die Gefahren aufzuklären und Maßnahmen gegen eine Ausbreitung der Krankheit zu setzen.

In Tenda Biru hat eine NGO gemeinsam mit der regionalen Aidskommission inzwischen dafür gesorgt, dass Frauen wie Riski über die Risiken Bescheid wissen. Die Organisation verteilt kostenlos Kondome. Ein Test unter den rund 250 Prostituierten der Siedlung ergab, dass zehn Prozent der Mädchen HIV-positiv waren. Riski zählt nicht dazu. Jeder vierte oder fünfte Freier verweigere es, ein Kondom zu benutzen, erzählt sie. Doch darauf - sie schüttelt den Kopf - lasse sie sich gar nicht ein. (Julia Raabe, DER STANDARD, 12.11.2012)