Wien - Der berühmte Dramatiker, den Klaus Mann 1933 den "Hindenburg der deutschen Literatur" nannte, hatte mit der Republik von Weimar zu deren Ende hin nichts mehr im Sinn. Als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, reagierte Hauptmann mit einem unveröffentlichten Gedicht: "Bist du nun du, zeig, was du kannst ...!" und weiter: "Du hast dich in zäher Arbeit bewährt."

Und als man aus Emigrantenkreisen von ihm als dem "größten deutschen Repräsentanten" Wochen später eine Stellungnahme zum "Unheil in der Heimat" erbat, antwortete Hauptmann ablehnend. In Deutschland, so seine Beobachtung, sei "eine Art Kirmesprügelei im Gange", bei der moralische Postulate wirkungslos bleiben müssten.

Im dritten Kriegswinter wurde zum 79. Geburtstag des im schlesischen Ober Salzbrunn geborenen Hoteliersohns seine Tragödie Iphigenie in Delphi am Berliner Staatlichen Schauspielhaus uraufgeführt. Der Dramatiker war zu diesem Zeitpunkt längst zu einem kulturellen Aushängeschild der Goebbels'schen Kulturpolitik geworden. Als Berlin sich unter den Bombenangriffen der Alliierten in eine Trümmerwüste verwandelte, wurde am Wiener Burgtheater sein zweites Atridenstück Iphigenie in Aulis präsentiert - mit solchen, die Aktualität bezeichnenden Sätzen wie: "... der Wahnsinn herrscht!/ Ganz Hellas ist ein fürchterlicher Herd ..." Und aus dem Jahr 1935 stammt ein Gedicht, in dem Hauptmanns metaphysisches Selbst- und Weltverständnis deutlich wird: "Der alte Dichter stand auf hoher Küste, die Sonne sank, es ging der Tag zur Rüste."

Das Widersprüchliche bei Hauptmann lässt sich auch an seinem Verhältnis zu den Juden erkennen. Hitlers Mein Kampf hatte der 1912 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Dichter im Unterschied zu den meisten Deutschen gelesen. Im November 1933 schrieb er für das Berliner Tageblatt eine zustimmende Erklärung zum Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund. Die von der Redaktion stammende Überschrift "Ich sage Ja" hat ihm später viel geschadet.

In diesem Winter kam es auch zu einer ersten persönlichen Begegnung mit Hitler beim Festakt zur Eröffnung der "Reichskulturkammer". Hitler drückte Hauptmann die Hand. Man sah sich an, und der Dichter soll danach zu seinem ältesten Sohn Ivo gesagt haben: "Ich glaube, dieser Mann ist wahnsinnig."

Dennoch hatte der Dramatiker Hauptmann ein Faible für den Redner Hitler. Und es schmeichelte ihm durchaus, wenn ihn die neuen Herren in Berlin zu Tisch baten. Da war er sich auch nicht zu schade, mit ausgestreckter Hand den Gruß der Hakenkreuzfahnen zu erwidern. Der Dichter hatte sein "Bündnis mit dem neuen Deutschland" geschlossen und bediente sich gelegentlich einer Ausdrucksweise, die nicht weit von der des antisemitischen Hetzblatts Der Stürmer entfernt war.

Wenn Hauptmann seine Stellung als Theaterautor bedroht sah, war ihm schon früher vulgärste Judenschelte gerade recht gekommen. Den kleinwüchsigen Kritiker Siegfried Jacobson verspottete er 1905 als "Juden-Älbchen". Alfred Kerr, der ihn wegen seiner Sympathiekundgebung für die neuen Machthaber scharf angegriffen hatte, beschimpfte er als "Bestie, Schmeißfliege und Laus". Auch Alfred Döblin bekam sein Fett ab: "Was durfte sich ein hergelaufener Jude herausnehmen? Z. B. Döblin. Eine Wegelagerernatur, gegen eingeborene Deutsche."

Ganz andere Facetten offenbart allerdings ein jahrzehntelang verschollenes Dokument: nämlich das Schlusskapitel des Buches Gespräche mit Gerhart Hauptmann von Joseph Chapiro, das 1932 ohne diesen Teil erschienen war. Chapiro, selbst jüdischer Herkunft, war 1933 über Frankreich und Spanien in die USA emigriert. In dem Text wies sich Hauptmann als Philosemit aus, der seinen jüdischen Mitbürgern voller Hochachtung begegnet sei: "Mir war jedes judenfeindliche Gefühl immer fremd, und ich brauche niemals solche Regungen in mir zu bekämpfen."

Als der Reichsrundfunk am Abend des 1. Mai 1945 meldete, der "Führer" sei "gefallen", lag der greise Dichter im Bett in seinem Haus in Wiesenstein. Erst am Morgen wurde er über die Meldung unterrichtet. Seine Reaktion: Er ließ Wein kommen, hob das Glas gegen die Sonne und sagte: "Der blutigste Phraseur der Weltgeschichte ist ausgelöscht wie ein Pfenniglicht." Er schien vergessen zu haben, wie er sich von den Anhängern des "Phraseurs" hatte umjubeln lassen. Noch im September 1944 hatte er versichert: "Der Führer kennt meine Achtung vor seiner gewaltigen und schicksalhaften Persönlichkeit."

Am 6. Juni 1946 starb Gerhart Hauptmann in Agnetendorf/Agnieszków, seine letzten Worte sollen gelautet haben: "Bin ich noch in meinem Haus?" 52 Tage nach seinem Tod wurde der Dichter auf dem deutschen Inselfriedhof in Kloster auf Hiddensee begraben. (Wolf Scheller, DER STANDARD, 13.11.2012)