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"Das Leben zu meistern heißt manchmal auch loslassen - selbst wenn einen dies zur Einsamkeit verdammt": Philip Roth.

Foto: Reuters/ERIC THAYER

Wien - "Das Alter ist kein Kampf; das Alter ist ein Massaker", schrieb der US-amerikanische Autor Philip Roth (79) in "Jedermann" (2006), dem ersten Band einer vierteiligen Romanreihe, die er vor zwei Jahren mit Nemesis abschloss. Der Schauplatz dieses Massakers, auch an den Illusionen, daran lässt Roth in seinem Romanquartett keinen Zweifel, ist das Leben. Und daher ist es auch eine düster werdende Welt von wirklicher und eingebildeter Schuld, von Vergeblichkeit, Tod und Schicksalsschlägen, in die Roth seine Figuren in seinem nach der griechischen Rachegöttin benannten Nemesis-Zyklus ("Jedermann", "Empörung" (2009), "Demütigung" (2010), "Nemesis) schickt.

Der Stoff, so hatte man den Eindruck, würde also dem jährlich als Nobelpreiskandidat gehandelten Schriftsteller gerade bei der heutigen Weltlage, nicht so schnell ausgehen. Und doch hielten sich seit längerem Gerüchte, Roth mache das Schreiben keinen Spaß mehr. Auch als er vor vier Wochen dem Pariser Kulturmagazin "Les Inrockuptibles" eher beiläufig zu Protokoll gab, er gedenke nicht mehr zu schreiben, passierte zunächst einmal wenig. Allerdings sprach sich die Nachricht bis zu Roths US-Verleger Houghton Mifflin herum, der sie nun bestätigt.

Was also ist geschehen? Er habe, so Roth in dem zum Erscheinen der französischen Übersetzung von "Nemesis" geführten Gespräch, schon vor einigen Jahren gemerkt, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibe. Also habe er sich noch einmal in das Werk jener Autoren vertieft, die ihn beeindruckt hätten. Nach der Relektüre von Dostojewski, Turgenjew, Conrad und Hemingway habe er sich dann noch einmal durch die eigenen Romane gelesen und sei zum Schluss gekommen, dass er aufhöre, Fiktion zu schreiben.

"Ich habe mein Leben dem Roman gewidmet: Ich habe das Romanschreiben studiert, ich habe es unterrichtet, ich habe Romane geschrieben und sie gelesen", so Roth. Alles andere sei für ihn zweitrangig gewesen. Diesen "Fanatismus" bringe er nicht mehr auf, zumal er das Schreiben als dauerndes Scheitern empfinde. Es handle sich um einen ständigen Kampf um das Besserwerden, der nicht zu gewinnen sei. Außerdem: "Wer braucht schon ein weiteres mittelmäßiges Buch?"

Auf die Tatsache, dass Schreiben ein Beruf ist, in dem man immer Anfänger bleibt, wies Roth schon vor einem Jahr hin, als er gefragt wurde, was er nach 40 Jahren und 31 Romanen einem jungen Schriftsteller raten könne, antwortete: "Aufhören zu schreiben." Gewohnt lakonisch und unsentimental fallen Roths Antworten auch nun aus. Man hat nicht den Eindruck, dass hier einer spricht, der unbedingt Publicity brauchen würde, oder sich grämt, weil sie ihm den Nobelpreis nicht gegeben haben. Das Leben zu meistern, meint Roth auf "Nemesis" anspielend, heiße auch loslassen - selbst wenn einen das zur Einsamkeit verdamme. (Stefan Gmünder, DER STANDARD, 12.11.2012)