Wien - Ihren Saisonauftakt haben das ORF Radiosymphonieorchester Wien und sein Chefdirigent Cornelius Meister unter anderem mit John Cages 4' 33'' bestritten - jenem legendären Werk, in dem die Musiker keinerlei Klang produzieren. Nun, bei Wien Modern, spielten sie eine in anderer Weise extreme und nicht weniger konsequente Partitur des vor 100 Jahren geborenen US-Amerikaners: die Quartets I-VIII for an orchestra of 93 instruments, in denen jeweils nur vier Instrumente Linien aus historischen Chorkompositionen wiedergeben. Im großen Konzerthaussaal geschah das mit kaum zu überbietender Konzentration, Expressivität und Stimmigkeit.

Auf ebensolchem Niveau musizierte das RSO Clinamen/Nodus von Olga Neuwirth mit seinen fast Mahler'schen Albtraummärschen und Varèse'schen Sirenen, in dem die heurige Hauptkomponistin des Festivals ihre handwerkliche und stilistische Wendigkeit ebenso zeigt wie Bitterkeit und Ernst. Von Meister und seinem Orchester wurde dies genauso akkurat umgesetzt wie Changements von David Philip Hefti - ein effektvolles Resümee orchestraler Techniken des 20. Jahrhunderts von Strawinski bis Lachenmann.

In einem Konzert unter der Leitung von Susanna Mälkki einige Tage zuvor kamen zur akribischen Einstudierung noch außergewöhnliche sinnliche und klangsensible Qualitäten hinzu: sei es in Neuwirths zitatgespickten Remnants of songs ... mit Solist Antoine Tamestit (Viola) oder Bernhard Ganders lärmendem, doch packend artikuliertem Dirty Angel mit Krassimir Sterev (Akkordeon) und Anders Nyqvist (Flügelhorn).

Und da Wien Modern nun ein 25-Jahr-Jubiläum feiert, gab es zwei der berühmtesten Stücke von György Ligeti: Atmosphères und Lontano. Beides dirigierte Mälkki mit schwebender Transparenz, und das RSO agierte mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre es Mozart oder Brahms. (Daniel Ender, DER STANDARD, 12.11.2012)