Bild nicht mehr verfügbar.

Deutsche Tugenden als Rezept gegen die Krise: Frankreichs Präsident François Hollande mit Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Gipfel Ende September in Ludwigsburg.

Foto: dapd/Probst

Förderung der Exportwirtschaft, Moralisierung des politischen Lebens: Unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande orientiert sich Frankreich zunehmend am deutschen Vorbild.

 

Auch Franzosen, die in der Schule kein Wort Deutsch gelernt haben, verstehen die neueste Volkswagen-Werbung: "Das Auto" lautet der lapidare Slogan des neuen VW Golf in Frankreich. Das deutsche Wort verbürgt offensichtlich eher für Qualität als die französische Entsprechung "la voiture".

Im Land des Savoir-vivre sind deutsche Tugenden derzeit Trumpf. En vogue sind Begriffe wie Berufslehre, Mitbestimmung und Exportförderung. Das deutsche Modell vor Augen, senkte Präsident François Hollande diese Woche die Unternehmenssteuern um 20 Milliarden Euro. Das soll die französischen Firmen international wieder wettbewerbsfähig machen. Noch vor zwei Jahren hatte die damalige Wirtschafts ministerin Christine Lagarde die deutsche Regierung gerüffelt, weil sie ihre Exportwirtschaft auf Kosten der Löhne ankurble und dadurch die EU-Südländer ökonomisch abhänge. Heute empfiehlt Lagarde als Chefin des Internationalen Währungsfonds den Franzosen genau das deutsche Rezept, nämlich Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit mit allen Mitteln.

Hollande übernimmt von dem Industriellen Louis Gallois, der im Auftrag der Regierung ein Papier ausgearbeitet hat, noch weitere Empfehlungen deutscher Prägung. Er fördert gezielt die Klein- und Mittelunternehmen, die jenseits des Rheins die Grundlage der Exportwirtschaft bilden. Außerdem baut er die Berufslehre aus, im Bewusstsein, dass Deutschland deshalb eine nur halb so hohe Jugendarbeitslosigkeit wie Frankreich hat.

Eine wenig beachtete Maßnahme soll die deutsche Mitbestimmung nach Frankreich bringen: Die Personalvertreter erhalten in den Verwaltungsräten von Großfirmen ein Viertel oder zum Teil sogar ein Drittel der Sitze. Das soll die Gewerkschaften stärker in die betrieblichen Entscheidungsprozesse einbinden. Wenn sie das Spiel mitspielen und innerbetrieblich Verantwortung übernehmen, könnte dies langfristig die ganze Streikkultur Frankreichs über den Haufen werfen.

Der klammheimliche Anfall von "Germanophilie" betrifft aber nicht nur die Wirtschaftsabläufe. Am Freitag präsentierte der - sehr protestantische - ehemalige Premierminister Lionel Jospin Vorschläge, um das politische Leben Frankreichs zu "moralisieren". Allein schon dieser Ausdruck passt schlecht zum Pariser Polittheater, wo es zwar weniger seriös zugeht als im Berliner Bundestag, dafür aber auch bedeutend lebendiger. Jospin will das gerade in Deutschland bewährte Proporzsystem teilweise auf die französische Nationalversammlung übertragen. Er empfiehlt eine Aufweichung des brutalen Mehrheitssystems, das kleine Parteien wie die Grünen oder den Front National um eine angemessene Sitzzahl bringt: Zehn Prozent der Sitze sollen in Zukunft nach dem Verhältniswahlrecht vergeben werden.

Gleichzeitig will Jospin die Amtsimmunität des Staatschefs beschränken. Dessen frühere Allmacht wird damit mehr und mehr geschmälert. (Stefan Brändle aus Paris /DER STANDARD, 10.11.2012)