Wellen? Wie entstehen Wellen eigentlich? Wieso sehen sie aus, wie sie aussehen? Und warum gibt es sie überhaupt? Davon ausgehend hat der Engländer Gavin Pretor-Pinney eine anmutig skurrile, informativ-lehrreiche unterhaltsame Universaltotalkulturgeschichte der Wellen geschrieben.

Lange hält er sich beim Wasser, bei Kräusel-, Sinus- und trochoidalen Wellen, Schwall- und Reflexionsbrechern nicht auf. Denn die Welt ist Welle. "Wellen", so Pretor-Pinney, "entstehen im wahrsten Sinne des Wortes im Herzen der menschlichen Existenz. Sie sind es, die das Blut durch unseren Körper zirkulieren lassen."

Und von dort geht es auf der globalen Wellenreise weiter nach innen und außen, zu anderen Oszillationen und Schwingungen. Zu Querwellen, landläufig Schlangenwellen genannt, weil sich diese Tiere in solcher Manier fortbewegen, zu Regenwürmern, zu Gehirnwellen, die das EEG sichtbar macht, und Neurofeedbacktraining, zu Erdbeben, akustischen Wellen, Schock-, Druck-, Radio-, Schallwellen sowie Love- und Rayleigh-Wellen. Zu Lichtwellen, Mikrowellen, Röntgenstrahlen und Ultraschall, Barockinstrumenten und Grabkammern des Neolithikums, zu elektromagnetischen und stehenden Wellen, Photonen und australischen Surferrevieren. Auf halber Strecke gibt man Pretor-Pinney dann vollkommen recht, wenn er meint: "Das Erstaunliche an Wellen ist, wie wenig wir sie beachten. Auch wenn das paradox klingen mag, ist doch etwas Wahres daran. Wir achten zwar auf die Informationen, die Wellen uns übermitteln, aber meistens gibt es keinen Grund, auf die Wellen selbst zu achten - diese subtilen, spring lebendigen Boten, die uns die Informationen überbringen."

Pretor-Pinneys "The Cloudspotter's Guide" war in Großbritannien ein geradezu bestürzender Verkaufserfolg. Die deutsche Ausgabe "Wolkengucken" blieb hinter den wolkigen Erwartungen zurück. Vermutlich, weil sein trocken-ironischer Humor fürs hiesige Leseklima zu britisch gewandet war. Es folgten das ausgreifend illustrierte "The Cloudcollector's Handbook" und vor kurzem eine überaus kalmierende Wolken-DVD. Dank seines gänzlich unvermuteten Bestsellers kann Pretor-Pinney, der in London das Magazin "The Idler" herausgibt, heute auf dem Land in Somerset leben.

Das Einzige, nicht ganz Unbeträchtliche, was man Gavin Pretor-Pinney vorhalten kann, ist, dass er kaum ein Ende seiner barocken Assoziationsketten findet. Er lässt sich nahezu schrankenlos von einer Welle zur nächsten treiben und tragen und springt und schreibt fort und fort und weiter und weiter. Dass der deutsche Verlag allerdings sein durchaus einiges an Vorbildung und Verständnis physikalischer Vorgänge einforderndes Buch im Titel als niedliche, quasi-humoristische Anleitung für Wellen-Dummies annonciert, das ist dann schon fast ein Grund, das Lektorat ins Wasser zu werfen - und zu sehen, welche Wellen entstehen. (Alexander Kluy/DER STANDARD, 10./11. 11. 2012)